Peter von Liebenau
Ich weiß schon: Sie feiern derzeit jeden Tag, jeden Tag begehen Sie als Bamberger Bürger andächtig die Erinnerung daran, dass es zweihundert Jahre her sind, dass E.T.A. Hoffmann in unserer Stadt weilte. Die Feierlichkeiten streben an ihren Höhepunkt, denn am 21. April 1813 verließ der große Dichter, Musiker, Maler und Jurist Bamberg – wir werden ganz besinnungslos von all den Einflüssen, die er ausgeübt, von all den Zusammenhängen, die er hergestellt und den Einsichten, die er gewonnen hat.
Was sollen wir tun? Wir hören zum Beispiel Robert Schumanns „Kreisleriana“, inspiriert von Hoffmanns gleichnamigem Kapellmeister, immer wieder, immer wieder, von den großartigsten Pianisten interpretiert … Das ist es! Das ist Weltkulturerbe der Musik – aber gut, ich will Sie nicht nerven, Sie kennen das längst, haben mehrere Schallplatten und CDs davon, hören verschiedene Fassungen im Internet, auch Sie können gar nicht aufhören damit, alle Interpretationen zu vergleichen. Es ist ja endlich einmal eine positive Sucht.
Zur Beruhigung gehen wir ins Theater, wo der Meister einst wirkte. Ach ja, das Theater!
Die bedeutendsten deutschen Sprechtheater sind alles urbane Bühnen großer Zentren, obwohl in Deutschland doch die Länder die Kulturhoheit haben und auch das eine oder andere Provinztheater dabei sein könnte. Die Spitzenpositionen nehmen wohl ein das Thalia-Theater in Hamburg, diverse Berliner Bühnen (von denen ich das Berliner Ensemble mit am meisten schätze), die Münchner Kammerspiele und die Wiener Theaterlandschaft (insbesondere Burgtheater und Akademietheater).
Wir Bamberger sind da wieder etwas urban; denn wir lieben das Theater, und zwar aus unerfindlichen Gründen. Aber ich bin diesen Gründen auf der Spur, glauben Sie mir, ich ahne die Ursachen unserer Theaterliebe.
Sie liegt letztlich begründet im Willen der Schönborn-Fürstbischöfe. Die wollten nämlich, dass aus Bamberg eine Stadt mit barockem Angesicht werden sollte. Infolgedessen geschah in Bamberg eine Verwandlung wie kaum irgendwo sonst: Sehr viele Gebäude erhielten ein neues „Gesicht“, eine neue, damals als modern geltende barocke Fassade – man könnte auch sagen: eine neue Maske oder – barocke Kulisse. (Obwohl neu erschienene Forschungen die Initiative der Fürstbischöfe bei der Barockisierung Bambergs relativieren, möchte ich doch gern daran festhalten. Gewisse neue Forschungen sind extrem von Sachlichkeitstendenzen geprägt, man kann fast sagen: von einem Sachlichkeits-Wahn.)
Bamberg erhielt also eine barocke Kulisse, es wurde in gewissem Sinne das damals erträumte barocke Welttheater – eine Welt, in der es nur Bühne, Schauspiel, Kulissen und Masken gab, die sich selbst, etwas oder jemanden präsentierten, spielten, inszenierten.
Es war, als hätte man die Tatsache anerkannt, die Hans Belting in seinem neuen Buch „Faces“ propagiert: Die Gesichter der Menschen sind sowieso immer Masken, genauso wenig aussagekräftig wie ihre Darstellungen in der Kunstgeschichte.
Ich habe diesbezüglich meine Zweifel. Waren da nicht die tiefen und lebendigen Gesichter einer Audrey Hepburn, eines Anthony Perkins oder eines Alfred Hitchcock, der seine Schauspieler unverwandt bis in deren Seele hinein mit dem Blick durchbohrte – was den seelenlosen Gestalten in den aktuellen Remakes (zum Beispiel „Hitchcock“ mit Anthony Hopkins) so deprimierend misslingt?
Der Höhepunkt aller Barockkulissen Bambergs ist die Villa Concordia – freilich ohne mittelalterliche Bausubstanz –, die nicht zur Benutzung da war – dafür hatte der Eigentümer, Geheimrat Böttinger, genug andere Häuser –, sondern die sich selbst ausstellen sollte. Sie sollte Kulisse sein für eine venezianische Commedia dell’arte (direkt am Wasser), für ein Wiener Hoftheater (verspielte Blumenranken an den Fenstern) und ein römisch-imperiales Staatsschauspiel (schwere Pilaster à la Roma).
All das war bei den meisten Bamberger Häusern freilich nur eine Vorführung nach außen hin. Hinter den Kulissen gab es nach wie vor die mittelalterlichen Handwerker- und Ackerbürgerhäuser, Gärtnerwohnungen, Amtsstuben, Kontore, Ställe, sakrale und profane Räume aller Art. Manche Durchgänge verschwanden aber ganz hinter den Kulissen und blieben als geheimnisvolle Rätsel zurück.
Man möge das verstehen: Diese Situation schreit geradezu nach dem Theater, nach dem Motto: In dieser Stadt spielt sich das Leben sowieso dauernd selbst, auf diese Tatsache muss über ein richtiges Theater zurückverwiesen werden!
Geradezu lustig ist es, wenn man in der Literatur über Bamberg nachforschen will, wann hier das erste Theater entstanden ist. Da gibt es ein erstes Theater am heutigen Schillerplatz, aber ein noch ersteres in Walsdorf oder in Seehof oder in der Aula des Jesuitenkollegs oder an anderen Orten. „Vorher“ gab es kein Theater. Oder doch? Gab es nicht wandernde Theatergruppen, ganz, ganz vorher?
Ganz schön ungeordnet, diese Angaben. Dafür brauchen wir weitere Forschungen, weitere Plaudereien, in einem nächsten Theater-Teil.