Guten Appetit. Vom Verspeisen von Krähen mit Kiefernholz und Sauerampfer, angerichtet von Michael Krüger, nicht von René Redzepi.

Krähenbeißer

Krähen, erzählt einer,
der den Krieg überlebt hat,
muss man mit dem Holz
der Kiefer kochen,
das bindet die Gifte.
Und Sauerampfer dazu,
der von den Tieren verschmäht wird.
Unverständlich ist die Ordnung
der Welt im Frieden.
Wir sitzen im Freien und bestaunen
den Sonnenuntergang.
Die Krähen auf der Kiefer
haben das letzte Wort.

Michael Krüger

Von Chrysostomos

In Litauen soll Krähenfleisch als Delikatesse gelten. In der Kurischen Nehrung war das nicht anders. Im Herbst fingen Fischer mit ihren Netzen dort die Vögel und töteten sie mit einem Biß in die Schädeldecke. Daher der Name Krähenbeißer, oder: Krajebieter. Das gepökelte Fleisch war eine beliebte winterliche Nahrung. Im Königsberger Hotel Continental standen Krähen noch bis in den Zweiten Weltkrieg hinein auf der Karte.

Nun, wir futtern ja auch Tauben, oder Fasan, Rebhuhn, Wachtel. Und in Portugal, am Strand von Mira, hat Chrysostomos erlebt, wie Möwen erst gejagt und dann gegrillt wurden. In Frankreich ist es zwar verboten, Ortolane zu fangen, aber man schätzt sie sehr. Sie werden gemästet und, wenn ihre letzte Stunde geschlagen hat, in Armagnac ertränkt, in Fett gebraten. Die sogenannte Fettammer mundet Politikern wie Alain Juppé, und auch François Mitterands letzte Mahlzeit soll ein solcher Ortolan gewesen sein.

In Michael Krügers „Krähenbeißer“ aber ist von Kriegszeiten die Rede, Zeiten der Not, wo man um jeden Bissen dankbar war. Sauerampfer schmeckt gut, nicht nur im „Noma“ von René Redzepi in Kopenhagen. Über Kieferzapfen werden die Coburger Bratwürste gebraten. Aber Krähe plus Kiefer? Eine schöne Alliteration, ja (die sich um den Namen des Dichters noch erweitern läßt), nur, ob sie auch mundet, selbst wenn Sauerampfer noch dazu gemischt wird? Staunend sitzt die Runde im Freien, die Sonne geht unter, und die „Krähen auf der Kiefer / haben das letzte Wort“ in Krügers schönem Parlando. Denn gegessen werden sie, für das eine Mal, nicht.

Die (Erfolgs-)Geschichte des Hanser Verlages ist untrennbar mit dem Namen Michael Krüger verbunden. Seit 1968 steht der im Dezember 1943 in Sachsen-Anhalt geborene Verleger in Diensten des Münchner Hauses, seit 1986 ist er dessen Leiter. Im Programm sind Verkaufsschlager wie Umberto Eco, Philip Roth oder Arno Geiger, etliche Nobelpreisträger werden in der Vilshofener Straße verlegt, Elias Canetti beispielsweise, Derek Walcott, Herta Müller, Orhan Pamuk und der Lyriker Tomas Tranströmer. Überhaupt macht sich Krüger, für den Gedichte „noch immer die vornehmste Art von Literatur“ sind, für die Verskunst ungemein stark. Auch, wenn sich damit kaum Gewinn erwirtschaften läßt. „Die bedeutendsten Dichter haben pro Buch eine Auflage zwischen zwei- und viertausend Exemplaren und in ihrem Leben vielleicht fünf oder sechs Übersetzungen in andere Sprachen“, sagt Krüger. Und verlegt sie dann doch, eröffnet ihnen zudem in den Akzenten, für die er seit 1981 alleine verantwortlich zeichnet, einen breiten Raum. Seamus Heaney, Rolf Haufs, Nora Bossong, Alfred Brendel (ja, er schreibt auch Gedichte, sehr humorvolle), Armin Senser, Paul Wühr – sie alle haben in Krügers Verlag, dessen Leitung Ende 2013 Jo Lendle übernehmen wird, eine Heimat gefunden, etwa in der Reihe Lyrik Kabinett.

Die Romane Michael Krügers – beispielsweise Die Cellospielerin (2000) – und seine Gedichtbände (zuletzt Ins Reine, 2010) erscheinen im Suhrkamp Verlag.

NB: „Krähenbeißer“ findet sich im Jahrbuch der Lyrik 2011, bei der dva herausgegeben von Kathrin Schmidt und Christoph Buchwald.

NBB: In vier Wochen erscheint zur Leipziger Buchmesse das Jahrbuch der Lyrik 2013. Betreut hat es, neben der Konstante Buchwald (seit 1979!!!), Jan Wagner.