Eine große Nachtmusik. Die Biennale Bamberg 2012 bat zu einer langen Mozart-Kammermusiknacht

Von Musicouskuß

Lange Nächte sind en vogue, ob sie nun der Universität gelten, Museen, Tiergärten oder Schwimmbädern. Zu einer langen Mozart-Kammermusiknacht hatte am Sonntag die Zweite Biennale Bamberg in die Konzerthalle gebeten.

„Die große Nachtmusik“ ist dann doch nicht ganz so lang geworden wie jene, während welcher wir bis weit in den darauffolgenden Tag hinein in den frühen Neunzigern an der Freiburger Musikhochschule einer Aufführung von Erik Saties „Vexations“ lauschten. Diese „Quälereien“, um 1893 entstanden, finden auf einer Manuskriptseite Platz, deren konzertante Umsetzung (durch eine Pianistenschar) allerdings dauert, je nach gewähltem Tempo, leicht anderthalb Dutzend Stunden, denn Satie sieht vor, dass die „Vexations“ 840 Mal wiederholt werden. Wir zählten zu den happy few (vulgo auch: zu den Verrückten), die sich den Freiburger Satie von Anfang bis Ende anhörten.

Nun also, von 20 Uhr an, Mozart pur, nahezu pur, im Joseph-Keilberth-Saal der Konzerthalle und auf der Empore im oberen Foyer. Dort nämlich trat Mozart als literarische Figur auf. Andreas Ulich rezitierte Mörikes berühmte Novelle „Mozart auf der Reise nach Prag“. Unterdessen war im Keilberth-Saal das Kuss Quartett zu hören. Es besteht zwar schon seit über zwei Dekaden und ist längst in den großen Konzertsälen der Welt zuhause, ob sie nun am Hudson River, an der Donau, am Vierwaldstättersee, an der Themse oder eben an der Regnitz liegen, klingt aber noch immer erfrischend frisch, musiziert ungemein lustvoll und engagiert.

Hier hat sich keine Routine (jedenfalls nicht der negativen Art), die ja bisweilen Gefahr laufen kann, sich mit Abgedroschenheit oder gar Langeweile zu verbünden, eingestellt. Das mag daran liegen, dass sich Primaria und Namensgeberin Jana Kuss, Oliver Wille (2. Violine, wie Kuss Gründungsmitglied), der Bratscher William Coleman und Mikayel Hakhnazaryan, der seit 2008 im Quartett das Cello streicht und streichelt, in klug konzipierten Programmen immer wieder jenseits des Gewohnten bewegen. Indem sie sich etwa „Klassik einmal anders“ vornehmen und am Donnerstag der kommenden Woche im Morphclub aufspielen werden.

Und noch wenn sie sich Klassikern widmen, tun sie dies im Bewusstsein, dass „die Werke seinerzeit keineswegs als ‚klassisch‘ und etabliert galten, sondern als avantgardistisch und neuartig diskutiert wurden“, wie es auf ihrer Netzpräsenz heißt. Tatsächlich war im Konzert gehörte Musik bis weit ins 19. Jahrhundert hinein immer auch Musik der Zeit, Auftragswerke, Aktuelles.

Eines der Meisterwerke nicht nur Mozarts sondern der Kammermusikliteratur überhaupt ist die im Januar 1785 vollendete Köchelverzeichnisnummer 465. Da ist nun einiges neu, um nicht zu sagen avantgardistisch. Neu ist die dem Sonatenhauptsatzallegro vorausgeschickte langsame Einleitung. Neu sind aber auch die chromatischen Reibungen, die Ganztonfolgen, die „Dissonanzen“, die dem C-Dur-Quartett seinen Beinamen einbrachten. Da reiben sich das Cello-C, das As-G-Fis der Viola, das Es der zweiten und das A der ersten Violine. Düstere (An-)Spannung, die sich im vital dahinfließenden Allegro entlädt.

Wunderbares Kantabile-Spiel der Kuss-Streicher erfüllte den zweiten Satz, federleichtes Hüpfen das Menuett, beherztes Zupacken im musikalischen Gespräch zu viert das Rondo-Finale. Einer der daran keinesfalls armen Höhepunkte der langen Mozart-Kammermusiknacht. In den kommenden zwei Wochen haben die Bamberger Symphoniker und die Stipendiaten vielfach die Möglichkeit, mit dem Kuss Quartett zusammenzuarbeiten. Die Glücklichen!

Am späten Sonntagabend und am sehr frühen Montag – der letzte Ton sollte gegen 0.21 Uhr verhallen – hatte dieses Vergnügen bereits Christoph Müller, einer der beiden Solo-Klarinettisten der Bayerischen Staatsphilharmonie. Das Klarinettenquintett A-Dur KV 581 wurde mit langem Beifall und Bravi bedacht, ehe es auf den Nachhauseweg ging.

Gemeinsam mit seinen symphonischen Holzbläserkollegen und Luuk Godwaldt als zentrales Bassfundament gestaltete Christoph Müller auch den Auftakt dieser „Großen Nachtmusik“ (die kleine durfte selbstverständlich auch nicht fehlen, erklang allerdings in einer Fassung für Streichquartett). Die Serenade c-Moll KV 388 bot reichen Hörgenuss und auch dem Auge viel Plaisir. Die bei Holzbläsern ja durchaus verbreiteten ausladenden Bewegungen muteten – man musizierte im Stehen – bisweilen nahezu choreographisch an, etwa wenn Pierre Martens (Fagott) sich mit Kai Frömbgen (Oboe) austauschte. Dass Mozart gut auf Frömbgen und der gebürtige Koblenzer gut auf den gebürtigen Salzburger zu sprechen ist, war in jeder Oboen-Phrase von KV 370 evident, dem später folgenden F-Dur-Oboenquartett. Frömbgen – seit Februar gemeinsam mit Francois Leleux auch Solo-Oboist des famosen Chamber Orchestra of Europe – belebte den Solo-Part mit zauberhafter Eleganz und vitaler Freude am Spiel. Quinten de Roos (Violine), der Bratscher Wolfram Hauser und Achim Melzer am Cello waren zuverlässige Begleiter. Für die lichthelle Lesart gab es gegen 21.17 Uhr die ersten Bravorufe an diesem Abend.

Auch ein Peter Eötvös durfte sich unter das sonst reine Mozart-Programm mischen. „Korrespondenz“ hat der Ungar 1992 drei Szenen für Streichquartett betitelt, zu den ihn der Briefwechsel zwischen Wolfgang Amadeus (verkörpert durch die Bratsche) und seinem Vater (das Cello) inspirierte. Es war nicht alles rosig in Paris 1778. Die geliebte Mutter sollte, ausgerechnet an einem Samstag, sterben. Andreas Ulich und Intendant Wolfgang Fink stellten der Musik jeweils die entsprechenden Auszüge aus den Briefen voran. Und nicht zum ersten Mal war im Keilberth-Saal zu hören, dass sich die beiden Geigerinnen Mayra Budagjan und Angela Stangorra, Wen Xiao Zheng (Bratsche) und Verena Obermayer (Violoncello) blendend auf zeitgenössische Musik verstehen. Insgesamt ein sehr gelungener, innovativer Abend, der Lust machte auf die reiche Kost, die die Bamberger Biennale 2012 noch zu offerieren hat.

Wer sich heute die Mozart-Kugel geben mag, kann das gleich zweifach. Da auch gegangen wird, sollten die doppelten Kalorien alsbald verbrannt sein. Um 18 Uhr treffen sich Mozart-Freunde am Franz-Ludwig-Gymnasium zu einem musikalischen Stadtspaziergang auf den Spuren der Zeit Mozarts. Die Teilnahme ist gratis. 20 Euro, ermäßigt 10 Euro, muss zahlen, wer von 21.30 Uhr an das g-Moll-Quintett KV 516 aus dem Jahr 1787 hören möchte. Das Kuss Quartett und Mitglieder der Bamberger Symphoniker – Bayerische Staatsphilharmonie spielen außerdem Werke von Harrison Birtwistle, 1934 in Lancashire im Nordwesten Englands geboren, sowie von dessen Vorläufern Henry Purcell, von John Dowland und weiteren Madrigalisten. Man musiziert in der Kirche St. Getreu.