Andreas Reuß
Die vorliegenden Planungen für das Bamberger Konversionsgebiet sind professionell und planerisch auf einem zeitgemäßen Stand. Was jedoch fehlt, ist die letzte Überzeugungskraft, eine besondere Idee.
Im Zusammenhang mit Bamberg spricht man von alters her von einer „Bamberg-Idee“, welche der besonderen Ausstrahlung, dem Charme dieser altgewachsenen Stadt zugrunde liege.1 Inwieweit sie tatsächlich vorhanden ist und worin diese Idee genau besteht, ist freilich umstritten.
Grundsätzlich fehlt allerdings eine „Philosophie der Stadt“, also über das Phänomen Stadt insgesamt, wie schon vielfach bemängelt wurde2: „Philosophische Aussagen und Reflexionen über Thema, Form und Inhalt des Phänomenbereiches ‚Stadt‘ sind in der Philosophiegeschichte äußerst selten. Wenn überhaupt Aussagen zum Problem des Städtischen zu finden sind, so stehen sie in Zusammenhang mit Staatstheorien (die Stadt als Zentrum des Staates, i.e. die Stadt als Staat).“3 „Die Idee der Stadt in der klassischen Kultur“, behandelt in einem Werk von Leonardo Benevolo, ist noch am meisten grundsätzlich-philosophischer Natur. Bamberg wird dort erwähnt.4 Auch Karl Schlögel versucht in seinem glänzenden Werk „Im Raume lesen wir die Zeit“ immer wieder, den Zusammenhang zwischen den Kategorien Ort und Idee philosophisch herzustellen, wie auch einzelne weitere Autoren.5 Eine größere philosophische Stadt-Monographie fehlt jedoch nach wie vor.
Diese Lücke ist für eine ideengeschichtlich geprägte Stadt wie Bamberg besonders schmerzlich, wenn kleine oder größere städtebauliche Maßnahmen ergriffen werden sollen. Unsere Stadt hat eben etwas Außergewöhnliches, fast Unbegreifliches. Am besten sagt man wohl: Sie gleicht einer zauberhaften Schönheit.6 Das ist aber nur eine sehr allgemein-poetische Grundlage für die Ergründung der Bamberg-Idee, und als eine pragmatische, planerische Arbeitsgrundlage kann die Aussage überhaupt nicht verwendet werden.
Zur Ergründung der Bamberg-Idee wäre zunächst eine ausführliche, wissenschaftlich fundierte Bamberg-Geschichte vonnöten. Eine gewisse Vorlage bietet hier der erste Band des großen, vielbändigen Bamberg-Inventars aus dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege. Eine klassische Geschichtsschreibung oder gar die damit verbundene nötige Ideengeschichte liefert dieser Band – genauso wie die folgenden Einzelbände – nur am Rande. Wissenschaftliche Streitfragen zur Geschichte Bambergs werden dort mit landesamtlicher Autorität gleichsam entschieden, ohne eine letztgültige Klärung herbeiführen zu können.
Um das Jahr 1000 hatte der spätere Kaiser Heinrich bekanntlich die Idee von Bamberg als einem Zentrum seines Reiches, in dem ein letztes Mal die „Säulen“ Kaisertum und Papsttum harmonisch das Weltbild tragen sollten.7 Die Schönborn-Zeit sah Bamberg als barockes Welttheater, und mit Säkularisation und Industrialisierung kamen romantisch-poetische, naturwissenschaftlich-technische, gewerbliche und neue politische Ideen zum Tragen. Nachdem das 20. Jahrhundert mit seinen ideologischen Ideen, Kriegen und Verfolgungen nicht wenige Verstrickungen und Schäden hinterlassen hatte, gewann die Stadt, vor allem durch die Universität und den Welterbe-Titel, eine gewisse Urbanität8, die dem ursprünglichen Konglomerat aus fast dörflichen Stadtteilen ganz neue Dimensionen eröffnete.
Die oben genannten Ideen waren und sind in der Stadtlandschaft ablesbar: Die Struktur der sieben Hügel mit dem Kaiserdom repräsentiert Heinrichs Idee, die Barockfassaden materialisieren die Vorstellungen der Schönborns, und die Hänge des Michelsbergs verkörpern die Verehrung der heiligen Dreifaltigkeit durch den Abt Anselm Geißendörfer – mit der Dreiteilung in Streuobstwiese, Kornelkirschterrassen und Weingarten.
Warum kann man nicht im Konversionsgebiet einerseits die Bamberger Ideengeschichte widerspiegeln und andererseits die Ideen der heutigen Zeit zum Ausdruck bringen?
Der Anlage der Kirchen und Stifte auf den Hügeln soll die Idee des Kreuzes zugrunde liegen. Insofern müsste auf dem Konversionsgelände ein sakraler Akzent gesetzt werden, da es der Gestalt nach in etwa dem Sockel eines Kreuzes gleichkäme. Das Bamberger Gemeinwesen hatte bekanntlich die Sonderform eines sakralen Staatsgebildes.
Auch das Theaterspiel – im Anklang an die Barockidee – könnte in die Planung aufgenommen werden. „Ein Reiseführer über Salzburg aus dem Münchner Prestel-Verlag schreibt, die Stadt an der Salzach habe mit Bamberg, Würzburg oder Passau gemeinsam, dass sie ein geistliches und zugleich weltliches Fürstentum gewesen sei, mit einer mittelalterlichen Burg über einer barocken Stadt, was eine ‚gewaltige Bühne‚ abgebe für einen Stamm, dem das Schauspiel im Blut liege.“9 Im Konversionsgebiet läge sozusagen das Parkett für das Publikum, mit Blick auf die Bühnen des Berggebiets und des Hauptsmoorwaldes.
Das Publikum müsste sich also dort auf verschiedenen zentralen Plätzen, in Innenhöfen oder auf größeren Flächen versammeln wollen. Schon immer haben sich die Bamberger gern vor der Stadt versammelt, zum Beispiel auf dem heutigen Schönleinsplatz, wo Schausteller auftraten, oder auf dem Plärrer, der seit seiner Vertreibung aus dem Hain reizvoller gestaltet werden könnte.
Neue Firmen und junge Gewerbetreibende schließen heute ihre Computer für ihre Dienstleistungsunternehmen gern in Häusern an, die nicht vom Autolärm umtost sind. Sie wollen ihre Kinder in Sicherheit wissen, nahe an Grün- und Sportflächen. Sie wollen inspiriert davon sein, mit dem Fahrrad auf langen, grünen Schneisen in die Altstadt oder zum Bahnhof zu radeln; eine Bushaltestelle in ihrer Nähe zu wissen; die Möglichkeit sehen, in CO2-neutralen Vierteln zu wohnen; oder in einer kleinen Variation des Bamberger Gärtnerviertels; oder in einem autofreien Wohnviertel; oder in einem Mehrgenerationenhaus; oder dort, wo man Menschen aus anderen Ländern kennenlernen kann; vielleicht in einem Café, in einem Restaurant oder in anderer Gastronomie, die sich um einen Platz herum befindet, mit kleinen Läden, ähnlich wie in der Gartenstadt.
Die Idee des „greenbelt“, des grünen Rings um die Stadt, müsste verwirklicht werden.10 Seit dem Beginn der Industrialisierung hat man in England beobachtet, dass die Städte zu amorph in die natürliche Umgebung hineinwuchern. Daher sollten Siedlungen jenseits der Altstädte aus sozialen, gesundheitlichen, ästhetischen und auch verkehrstechnischen Gründen erst einmal nach einer Grünzone entstehen. 1906 wurde ein „Open Spaces Act“ erlassen.11
In Bamberg existieren ja mehrere greenbelts12, die teilweise leider unterbrochen und vernachlässigt wurden, aber wiederbelebt werden können: 1. einmal der alten Stadtmauer folgend Hinterer und Vorderer Graben (grün jeweils nur hinter Rückgebäuden) – Promenade – Haingebiet – linker Regnitzarm; 2. der grüne Ring von der Hainspitze gegenüber Bug am Regnitz- bzw. Kanalufer entlang zur Spitze der ERBA-Insel und schließlich 3. der Ring Berggebiet – Südflur – Hauptsmoorwald – Kramersfeld – Mainauen. Ein ähnlicher grüner Ring müsste innerhalb des Konversionsgebiets gestaltet bzw. geschlossen werden; ein grüner Ring, der zumindest an einer Stelle auch von einem Gewässer begleitet wird – als Pendant zum 2. grünen Bamberger Ring.
Schon einige wenige kleinere, prägende Struktursetzungen dieser Art könnten Ideen setzen und Inspiration bewirken – vom Konversionsgebiet ausgehend für die ganze Stadt, die Region und darüber hinaus. Ein neues Stadtmodell mit neuer Philosophie könnte erwachsen. Das müsste man freilich organisch wachsen lassen, weder durch Abrisse noch durch großartige Neubauten.
Anmerkungen:
- Otto Meyer, Hauptstadt des Reiches. Idee und Wirklichkeit; ders.: Meyer, O., Kaiser Heinrichs Bamberg-Idee im Preislied des Gerhard von Seeon, in : Fränkische Blätter für dt. Landesgeschichte, Nr. 3 (1951). Allgemein zur „Idee“ der Stadt siehe Benevolo, L.: Die Stadt in der europäischen Geschichte, München 1993, S. 19 ff.: „Die Idee der Stadt in der klassischen Kultur.“ (Zu Bamberg S. 243). Schneidmüller, B.: Die einzigartig geliebte Stadt – Kaiser Heinrich und Bamberg. In: Kaiser Heinrich II. (Katalog), S.: 41: „[…] und auch liebgewonnene Züge einer übersteigerten Bamberg-Idee wird man relativieren müssen […]“. – Fröhling, S., Reuß, A.: Bamberg entdecken, Bamberg 2004. Siehe auch Reuß, A.: Philosophischer Altstadt-Spaziergang. Ein Gespräch mit Carl Friedrich von Weizsäcker unterwegs zum Bamberger Michelsberg, in: Fränkischer Tag, 6.10.1983. Vgl. auch: „Sie [Krumau] gehört für mich zu den Städten, denen man sich immer wieder Herzklopfen nähert, weil sie bei jedem Besuch neue Schönheiten entdecken lassen. Salzburg ist so eine Stadt oder Bamberg […]“. Johanna Baronin Herzogenberg: Zwischen Donau und Moldau. Bayerischer Wald und Böhmerwald. Das Mühlviertel und Südböhmen, 3. Aufl., München 1980. S. 277.
- Dieter Eisfeld; Zeitschrift „Widerspruch. Münchner Zeitschrift für Philosophie: Zukunft der Stadt“, Heft 46, 2007, Angaben der Redaktion im Internet. Ähnliches formuliert die Redaktion in der Print-Ausgabe des Heftes, S. 9. Im „Ritter“ (Historisches Wörterbuch der Philosophie) fehlt das Stichwort „Stadt“ als eigener Lexikonartikel, es taucht aber an 216 Fundstellen in diversen Artikeln auf. Wohl aber finden sich im „Ritter“ die Artikel „Haus“, „Landschaft“ oder „Markt“. Immerhin hat das Stichwort „Urbanität“ einen eigenen Artikel. „Stadt“ fehlt auch in Jordan, S. / Nimtz, C. (Hg.): Lexikon Philosophie. Hundert Begriffe, Stuttgart 2009, ebenso in Schmidt, H.: Philosophisches Wörterbuch, neu bearb. V. G. Schischkoff, 20. Aufl., Stuttgart 1978. Watson, P.: Ideen. Eine Kulturgeschichte von der Entdeckung des Feuers bis zur Moderne, München 2005. Vgl. auch Störig, Philosophiegeschichte, hat das Stichwort nicht im Register. Ausnahme: Begriff „Stadt“ im LThK, Bd. 9, S. 914-916. Aspekte dort: Kulturgeschichtlich, biblisch, soziologisch, theologisch-ethisch und praktisch-theologisch. Auf der DVD „Jubiläumsausgabe Digitale Bibliothek“ von zweitausendeins finden sich 67.596 Fundstellen.
- Aus: Philosophische Stadterkundung. Umsetzung der Skripten von 1991. Die Stadterkundungen wurden als Eintagesveranstaltung durchgeführt, in den Jahren 1988 bis 1992 (Projektleitung Wolfram von Berg), teilweise in Verbindung mit Stattreisen München e.V. Internetadresse: http://www.die-philosophen.de/stadt.html#Philosophie Stadt.
- Benevolo, Die Stadt in der europäischen Geschichte, S. 243.
- V.M. Lampugnani (Stadt & Text: Zur Ideengeschichte des Städtebaus im Spiegel theoretischer Schriften seit dem 18. Jahrhundert) führt eine ganze Reihe von Autoren, meist Architekten an, die „Stadtarchitektur erschreiben“, und nennt Victor Hugo, der sogar in einem Romankapitel eine „Philosophie der Stadt“ entwickelt habe. All das geschieht aber im Rahmen von Literatur oder Architektur, nicht einer eigenständigen größeren Philosophie. 2009 erschien eine philosophische Magisterarbeit von Fernand Mathias Guelf, worin er versuchte, „philosophische Auseinandersetzungen“ zum Thema Stadt nachzuvollziehen und Zusammenhänge zwischen Stadt-Bildern aus verschiedenen Epochen herzustellen, ohne größere, vertiefte Perspektiven entwerfen zu wollen. Bei ihm kommen immerhin viele interessante philosophische Ansätze zum Ausdruck. Schon 1991 gab Tilo Schabert eine Essay-Anthologie über die „Welt der Stadt“ heraus, in der Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen auch den einen oder andere philosophischen Weg betraten.
- Philosophische Erwägungen zum Schönheitsbegriff stellt Umberto Eco an. Bezeichnenderweise kommt in Ecos Buch über die Schönheit das Phänomen Stadt nur am Rande vor, es wird aber sehr wohl behandelt in seiner „Geschichte der Hässlichkeit“. Vgl. auch die geheimnisvolle Schönheit, die E.T.A. Hoffmann in seiner Erzählung Don Juan im Bamberger Theater auftreten lässt. Siehe Hoffmann, Sämtliche Werke, Bd. 2/1, S. 87 ff. Bamberg wird auch immer mit der – meist schön dargestellten – heiligen Kunigunde gleichgesetzt oder verglichen. Ähnliche Worte findet Günther Winbauer in seinem Kapitel über „Würzburg – sein Geheimnis“, in dem Band „Mainfranken Impressionen“, Veitshöchheim 1996, S. 71. Zuletzt schrieb der Philosoph Vittorio Hösle über Bamberg: „[…] in einer sehr schönen Stadt.“ (Persönlichen Widmung an den Autor A.R., vom 8.6.2011). Auch Bischof Suidger von Bamberg, nachmaliger Papst Clemens II., sprach von seiner Liebe zu Bamberg und meinte damit freilich den Zustand im 11. Jahrhundert.
- Andreas Reuß: Wie die Commode einer alten Großmama. Stadt der Bücher: ein Rundgang durch Bambergs Literaturepochen. In: Unser Bayern, Heimatbeilage der Bayerischen Staatszeitung, Jahrg.46, Nr.8, 8/1997, Text und sechs Fotos von A.R., S.60-62.
- Andreas Reuß: Urbane Plaudereien. Eine „Bamberg-Affäre“, Erich-Weiß-Verlag: Bamberg 2014.
- Andreas Reuß: Urbanne Plaudereien, S. 33.
- Katja Frey: Der grüne Ring um die Stadt. […] In: V. M. Lampugnani u .a.: Stadt & Text, Berlin 2011, S. 80-98.
- Katja Frey, S. 81.
- Nach einer Führung von Andreas Reuß für den BV Mitte im Frühjahr 2014.
Es gibt drei Dinge, die Bamberg auszeichnen:
1. Es ist eine gut erhaltene historische Stadt, die obendrein als traditionelle Bischofsstadt von besonderer Schönheit ist. Freilich hilft ihr auch die Geographie dabei.
2. Bamberg hat eine Infrastruktur, um ca. 200.000 Menschen zu versorgen, einen ICE-Halt, eine Universität, ein Kulturleben mit hochklassigem Synphonieorchester etc..
3. Die Stadt liegt im Grünen und hat in ihrem Inneren zwei große, schöne Grünanlagen, zudem die wunderbaren Seitenstreifen am Kanal. Zudem ist dür Kinder durch die Spielplätze, für Ältere durch Bänke usw. gut gesorgt.
Zusammengenommen mit der günstigen Lage – das Regnitztal ist vom Wetter her eine der glücklichereren Regionen Deutschlands – macht dies die Lebensqualität dieser Stadt aus.
„Ob eine Stadt zivilisiert ist, hängt nicht von der Zahl ihrer Schnellstraßen ab, sondern davon, ob ein Kind auf dem Dreirad unbeschwert überall hinkommt.“ (Enrique Peñalosa, Nationalökonom, ehemaliger Bürgermeister Bogotás)
Auch – nicht sogar vor allem? – so definiert sich Lebensqualität. Bambergs Weg zur Zivilisation ist noch weit – und OB Starkes Vision von der Autostadt Bamberg weist nicht in diese Richtung.
So viele Konjunktive und so wenig Konkretes …
Was will der Autor uns eientlich sagen?