Peter von Liebenau
Der Sonntag ist in Franken heilig. Noch heiliger ist dem urbanen Bamberger Franken der Sonntagsbraten, sprich: reichlich Fleisch mit Soße satt, seidige Klöße mit geschmeidiger Konsistenz, die auch in der Lage sind, den aromareichen Fleischsaft optimal aufzunehmen sowie ein ganz spezielles grünes Gemüse, dem wir uns jetzt und hier intensiv und ausführlich widmen wollen: dem Wirsing.
Wirsing ist keine ausschließlich im urbanen respektive ländlichen Franken verbreitete Kohlart. In der Hauptstadt Palma de Mallorca auf der gleichnamigen grünen Perle im Mittelmeer umhüllen die grünen Blätter gern Schweinefilet, das mit Rosinen und Pinienkernen im Ofen gebacken wird. Dem Gaumen des dem französischen Lebensstil frönenden Gourmets schmeichelt der Kohl in Paris hervorragend in grob gehackter Form an Sahnesößchen mit in Butter geschwenkten Austernpilzen.
Die Apotheose des Wirsings hat man wohl auch in Nürnberger Sterneküchen erreicht, indem man grobe Stücke mit geheimen Ingredienzien gewürzt und in hochwertigstem Öl von der Olive sautiert als Beigabe zu karamellisiertem Hafer gereicht hat, selbstredend kunstvollst drapiert auf nicht weniger anspruchsvollem Porzellan.
Jedoch – wir hier sprechen von der typisch fränkischen Zubereitungsart des grünen Gemüses und – im ganz Speziellen – von den qualitativen Schwankungen desselben im urbanen Bamberg und seinem zuweilen nicht minder urbanen Umland. Beschäftigen wir uns ganz zuerst einmal mit den vier Kardinaltugenden zum Thema korrekte Zubereitung des Wirsings.
Erste Kardinaltugend:
Der Kohl muss in kochendem Wasser Blatt für Blatt blanchiert werden. Zuzusetzen ist grundsätzlich Natron, um die schöne Farbe zu konservieren. Ein Weglassen dieser Zutat zöge spätere starke Vergrauung des zubereiteten Gemüses nach sich. Ein No Go.
Zweite Kardinaltugend:
Der Wirsing muss zwingend durch einen Fleischwolf gedreht werden, um die optimale Konsistenz zu erhalten. Pürieren mit dem Stabmixer ist ein definitives No Go.
Dritte Kardinaltugend:
Für die Zubereitung des Wirsinggemüses muss als Basis ein helles, luftiges Einbrenn aus Butter und Mehl hergestellt werden. Dunkler, dumpfer Mehlpampengeschmack im Nachgang ist ein totales No Go.
Vierte Kardinaltugend:
Das Wirsinggemüse unterliegt dem Reinheitsgebot. Jegliches Strecken mit grünen Erbsen oder gar Zugabe von getrockneter Erbswurst käme einer kulturellen Katastrophe gleich und stellt somit ein weiteres absolutes No Go dar.
Die qualitativen Schwankungen im Wirsingbereich sind im urbanen Bamberg und seinem zuweilen nicht minder urbanen Umland tatsächlich gravierend. Nimmt man als Messlatte das Bewertungskriterium „so wie bei Mama“, kommen tatsächlich die wenigsten Gaststätten hier richtig gut weg. Da meint der eine Koch es mit dem Maggi zu gut, der andere benutzt viel zu viel Streuwürze, mal ist zu viel Pfeffer drin, mal zu wenig Salz. Da wird die Muskatzugabe entschieden übertrieben, in einer anderen Zubereitungsart ist dieses elementare Gewürz nicht mal in Mikrospuren nachweisbar. Teilweise gerät das Wirsinggemüse zu hell, weil zu wenig dunkelgrüne Blätter verwendet wurden. Wässrige Konsistenz ist ebenso unerwünscht wie die breiig-mehlige Variante. Die Liste der Verfahrensfehler ist lang, und der an Wirsing und seinen Spielarten interessierte Leser mag selbstständig in Selbstversuchen herausfinden, an welchem Altar welchen urbanen oder andersgearteten Ortes auch immer er seine Wirsinggelüste opfern will.
Wenige Hinweise auf wahrhaft tadellose Wirsinggemüse-Hersteller seien an dieser Stelle dennoch gegeben, weil sie einfach gar zu makellos sind, um hier keine Erwähnung zu finden: In unserer Alten Stadt, ganz oben am Kaulberg, am traditionsreichen Laurentiusplatz, da thront der allschöne Greifenklau. Hier lohnt ein Abstecher allemal. Auch der Englische Garten, bei Insidern natürlich als Bockser bekannt, wird mehr als nur geschätzt in diesem Zusammenhang. Auf dem Land, wohinan es den echten, urbanen Bamberger nur sporadisch, aber wenn dann doch unbeirrbar zieht, liegt in dem kleinen östlichen Ort Merkendorf der Wirsing vom Wagner ganz vorne. Beim Heiner in Lohndorf versammelt man sich ebenso gerne als urbane Sippschaft, um dessen grüner Rezeptur samt Beiwerk zu huldigen. Und droben auf dem Jura – last but not least – Herzogenreuth. Die Möhrleins kochen den Wirsing aus dem schönen Bauerngarten hinter dem Haus am Sonntagmorgen frisch, und die Enten, die auf dem Tisch landen, sind noch am Vorabend durch den Ort spaziert. Das nenn ich authentisch. Das nenn ich Bio. Da ist’s wie bei Mama.
Was brauch ich Paris. Alles gut im urbanen Bamberger Wirsingland.
Wunderschöner Artikel über das regionale Kultgemüse.
Und wie nicht mehr jeder weiß, ist auch hier das ‚Terroir‘, von dem die Weinkenner immer so vollmundig sprechen – also der Boden wo er angebaut wird – sehr wichtig,.
Monika Schau