Dr. Barbara Kahle zur Ausstellungseröffnung
Kunstraum KESSELHAUS, Untere Sandstraße 42 / Eingang Leinritt
Ausstellung: 20. 4. – 21. 5. 2013 / Donnerstag 17 – 19 Uhr, Freitag – Sonntag 14 – 19 Uhr
Nachdem wir vor fast genau 4 Wochen mit KNICK, dem Riesen-Reiseobjekt der österreichischen Kunststudentin Katharina Mayrhofer, das Kesselhaus in einen gigantischen Spielplatz umfunktioniert haben, sind wir nun mit Lev Khesins Werken wieder in die reine Welt der Kunst zurückgekehrt – in die Bilder-Welt der Abstraktion, wie es scheint, gegenstandslos, zeitlos.
„Abstrakte Farbmalerei“ – werden sicherlich die meisten spontan, auf den ersten Blick sagen und sie liegen damit ein bisschen richtig wie auch ein bisschen falsch. Gleichwohl könnte man natürlich an eine Jubiläumsausstellung des Kunstvereins zu Ehren von 100 Jahren Abstraktion denken. Immerhin drängte 1913, vor 100 Jahren, die Kunst überall voran in die Loslösung von realen Bezügen: Kandinsky in München, Robert Delaunay und Frantisek Kupka in Paris, Kasimir Malewitsch in Russland und Piet Mondrian in Holland. Jeder auf seinem eigenen Weg – für die Gegenwart insgesamt ein riesiger, sicher gewordener Fundus, in dem sich die heutige Malergeneration frei bedienen kann.
Uns geht es aber gar nicht darum, hier zeitgenössische Varianten oder Re-Interpretationen aufzuzeigen. Spannend ist vielmehr die Frage, warum und in welcher Form sich ein junger Künstler dem Figurativen entzieht und allein der Selbstentfaltungskraft von Farbe und Materialität vertraut.
Lev Khesin ist aus Berlin hierher nach Bamberg gekommen, sein Geburtsort ist aber Pensa in Rußland (1981). Die Eltern sind Ikonenmaler, er ist also elterlicherseits durchaus vorbelastet. Malerei und Grafikdesign waren seine Schwerpunktthemen an der kunstpädagogischen Schule in Pensa, bis die Familie 1999 nach Deutschland übersiedelte. In Berlin beginnt Khesin ein erneutes Studium an der Universität der Künste. Stipendien führten ihn 2005 nach Pittsburgh und New York, 2009 dann Fukuoka in Japan.
Ich habe Lev Khesins Bilder zum ersten Mal in Hamburg gesehen, dank einer glücklichen Begegnung mit der Hamburger Galeristin Evelyn Drewes. Die Bilder waren nicht etwa in ihrem Galerieraum ausgestellt, sondern in einem Rohbau der Hafencity, gewisse Ähnlichkeiten zu unseren Räumlichkeiten sind nicht ganz von der Hand zu weisen. Fasziniert hat mich sofort die besondere Materialität der Werke und das unauslotbare Changieren ihrer Farbwelten, das einen gar nicht mehr loslässt.
Sie haben schon gemerkt, dass ich mich etwas scheue, von Farbmalerei zu sprechen, denn diese Werke sind nicht wirklich gemalt, sondern geschichtet. Das kann man noch deutlich an den Rändern erkunden, wo ein wildes, ungeformtes Farbschauspiel plastisch greifbar wird, jede einzelne Schicht quillt in mehr oder weniger dicken Wülsten hervor, franst aus. Auf der Oberfläche dagegen verbinden sich diese Schichten zu einem dichten und tiefgründigen Farbenspektrum. Gerade im Hinblick auf den Entwicklungsprozess wachsen eigentlich die Bilder mehr, als dass sie entworfen wurden.
Sind es Bilder? Es bleibt etwas in der Schwebe, ob es sich nicht doch eher um Objekte handelt. Dafür spricht auch, dass die Arbeiten nicht gerahmt sind, also nicht demonstrativ von der umgebenden Wandfläche abgegrenzt werden. Als farbige Objekte gehören sie jetzt zum Raum wie all die anderen Dinge, die uns hier umgeben. Man wandelt in einem aufgegebenen Werksraum umher, entdeckt dieses oder jenes Detail wie den ehem. Schaltkasten und stößt dabei auf besondere Schätze, die manchmal erst auf den zweiten Blick als solche zu erkennen geben, so das Objekt über dem Schaltkasten.
Von der Materialität her fügen sie sich problemlos in unsere Alltagsrealität ein, es handelt sich hier schlicht um Silikon aus dem Baumarkt.
Bei Silikon denkt man eigentlich nicht an Kunst sondern eher an Künstlichkeit: Silikonbrüste und dergleichen mehr. Silikon braucht man außerdem zum Abdichten, zum Trennen verschiedener Bereiche, andererseits aber auch für das Gegenteil: Fugen und Brüche werden gekittet.
Lev Khesin verwendet für seine künstlichen Welten mit perfekter Oberfläche halbtransparentes Silikon, vermischt es mit Pigmenten und legt Schicht um Schicht übereinander. Hier bei diesen Arbeiten, alle aus dem Jahre 2013, sind häufig metallische Zusätze beigegeben, die eben jenes eigentümliche Funkeln und Reflektieren hervorrufen.
Bei unserem Knick-Objekt war das Schild „Berühren verboten“ außer Kraft gesetzt, hier gilt es natürlich strengstens, aber man würde doch zu gern einmal diese Masse einmal anfühlen. Wie ist die genaue Konsistenz? Weich wie Gummi? Verformbar?
Zu unserem Wissen über die physische Substanz in all ihrer Künstlichkeit fügen sich visuell ganz andere Assoziationen: etwa die eines kostbaren Edel-Steins mit farbigen Einschlüssen. Bei anderen Arbeiten drängt sich eher das Bild von nächtlich-nassen Straßen auf, mit fleckigen Ölspuren, in denen sich das Neonlicht der Stadt spiegelt. Oder ist es vielleicht doch ein Blick in tiefes Wasser, mal durchlässig bis in tiefe Gründe, mal dicht an der Oberfläche bleibend. Und damit sind wir natürlich auch beim Titel dieser Ausstellung „Klärt sich das Wasser …“. Haben Sie schon Fische entdecken können?
Khesins Arbeiten sind in ihrer Konzeption von nicht–figurativer, nicht erzählerischer Erscheinung, die bringen wir – Sie und ich – als Betrachter selber mit.
Farbe und Licht, das Dunkel und die Reflektion in ihrer Verschränkung, das sind vielmehr die Phänomene, die Lev Khesin interessieren und für die er in der Bearbeitung des semi-transparenten Silikons sein ideales Medium gefunden hat. – Manchmal wirkt es gar nicht wie Silikon, sondern eher wie Vaseline, wie Wachs, wieder ein anderes Mal fast wie Metall. Das liegt natürlich an der Bearbeitung der Farbschichten, die dann ganz unterschiedlich in ihrer Wirkung sind. Bei manchen Objekten hat man den Eindruck, als läge ein Schleier, ein Regenschleier (?) über den Bildern, ein Vorhang, durch den das Innere verborgen wird. Faszinierend für mich auch die Arbeiten, bei denen die oberste Schicht fast wie etwas knitterhaft gefaltetes Seidenpapier anmutet.
Im Berliner Tagesspiegel schrieb Tomasz Kurianowicz, dass aus feinen Nuancen gewaltige Kompositionen entstünden, „die geradezu süchtig machen…. Nirgends ist ein Motiv zu sehen, nirgends eine Gestalt zu erkennen, und trotzdem ereignen sich auf den Bildern ganze Dramen … Man wandert umher und wechselt die Perspektive, während die Kunst zu schimmern, zu leuchten, zu klingen beginnt.“ Ganze Materialdramen ereignen sich so etwa auf dem großen Diptychon, eine psychedelische Unterwasserwelt vielleicht, oder vielleicht die Teichlandschaften, die schon Monet begeisterten.
Nehmen Sie sich unbedingt die Zeit, um die Tiefenwirkung, das Leuchten und Vibrieren der Farbschlieren auch bei unterschiedlichem Lichteinfall zu entdecken.
„Mein Ziel“, so der Künstler selber „ ist es, Sichtbares zu schaffen, dass sich nicht mit den Begriffen und Bezeichnungen von Gegenständen und Phänomenen kategorisieren lässt … Eindeutigkeit soll vermieden werden zugunsten haptischer und farblicher Qualitäten, Farbe und Material gegen die Sprache als ein System von Begriffen.“
Um es noch einmal deutlich zu sagen: Ziel ist es eben nicht, einen Blick in einen tiefen See zu generieren – das sind unsere Assoziationen – für ihn ist Farbe als Sinnesreiz und Farbe als Material die Botschaft, frei nach dem berühmten Satz des kanadischen Philosophen und ersten Medientheoretikers Herbert Marshall McLuhan, den Khesin gerne zitiert: „Das Medium ist die Botschaft“. Sie müssen nicht die Inhalte kennen, sondern nur sehen, wie die Medien, hier also Farbe und Material, funktionieren.
„Farbräume sind Empfindungsräume“
In jedem Fall steht Khesin aber der seelenvollen Farbmalerei von Robert Ryman oder der Farbfeldmalerei von Mark Rothko näher als den nüchtern kühlen Farbtafeln bei Timm Ulrichs oder auch den frühen Gerhard-Richter-Bildern, die Farbe eher unemotional einsetzten. Es werden durchaus poetische Bilder heraufbeschworen, bleiben aber melancholisch diffus und vieldeutig und treffen damit den Nerv unserer Zeit. „Farbräume sind Empfindungsräume“ betonte der Kunsthistoriker Max Imdahl angesichts der in den sechziger Jahren Aufsehen erregenden Farbkörper von Gotthard Graubner.
Romantische Bilder und Ideale so darzustellen, würde ich durchaus als einen mutigen Schritt bezeichnen. Dabei wird aber keineswegs daran gearbeitet, eine vergangene Romantik wieder aufleben zu lassen oder gar die Kluft zu überbrücken. Denn mit der Künstlichkeit des Materials wird genau jener Graben sichtbar, der dem zeitlichen Bruch entspricht.
Lev Khesin ist durch sein Studium als Meisterschüler von Frank Badur an der Universität der Künste in Berlin mit dem Umgang der Farben bestens vertraut, kann diese in ihrer Wirkung auch bewusst kalkulieren. Dementsprechend verwendet er Zusatzmittel, verschiedene Untergrundträger und Werkzeuge. Gleichwohl bleibt auch für ihn ein spannendes Thema, wie etwas entstehen kann, jenseits dessen, was der Künstler plant. So wird dem Zufall weiter Raum gegeben, etwa wenn er verschiedene Instrumente zum Formen des Farbmaterials verwendet, Lochbleche etwa. Schon das Wachsen der Bilder betont ja jenen offenen, langsamen Prozess, der Schicht um Schicht unvorhergesehen Spannendes mit sich bringen kann. Bei seinen Zeichnungen hat Khesin auch immer selbst konstruierte Maschinen eingebaut, Bilder, die sich selber generieren.
Aufgegebene Industrieräume wie unser Kesselraum hier haben ihre ganz eigene Wirkung, sie fordern ja sehr stark auch Aufmerksamkeit für sich. Und damit muss sich die ausgestellte Kunst messen, kann sie aber auch für sich nutzen, wie Julia Brodauf in ihrer Dokumentation zu Off Spaces and Sites schreibt. Es sind nur Kunstwerke geeignet, die zur Interaktion fähig sind. Dann kann eine Form des Dialogs zwischen Kunstwerk und Umgebung entstehen. Und dies ist Lev Khesin in wunderbarer Weise gelungen.