Wolfgang Neustadt
Litzendorf zeigt wie’s geht! Glückwunsch! Jetzt am 23. September wird das neue Bürgerzentrum „Am Wehr 6“ mit saniertem Bürgerhaus, Büchereineubau und anliegender Landschaftsgestaltung am Ellernbach eingeweiht. Damit findet ein wesentlicher Bauabschnitt des Projekts „Lebendiges Litzendorf“ seinen vorläufigen Abschluß.
Die Gemeinde hatte Glück und konnte 2009 auf den Zug der „Agenda 21“ mit verbundener Städtebauförderung „Leben findet Innenstadt“ aufspringen, wie Hallstadt und Strullendorf.
Der kommunalpolitische Planungsrahmen ist wichtig, um insbesondere das Neubauprojekt der Bücherei umfassender verstehen zu können. Seit Jahrzehnten lag der Litzendorfer Ortskern danieder, schlechter, es existierte eigentlich keiner. Das Bewußtsein war endlich da, dass Ortskernbrache und zentrale Gebäudeleerstände kommunales Leben behinderten. (Re-) Vitalisierung und Zentrumsstärkung standen dringend an und wurden jetzt möglich. Jung und Alt brauchten einen innerörtlichen Treffpunkt. An diesem Bedarf neuer sozialer Identifizierung mittels baulicher Stärkung des Ortskerns knüpfte die Städtebauförderungsinitiative 2009 in Bayern an. Zu den Bedingungen gehörte darüberhinaus ganz wesentlich die praktische Teilnahme der Bürger selbst am Projekt. Beiden Anforderungen konnte in Litzendorf erfolgreich entsprochen werden. Übergeordnete politische Grundanliegen waren die Förderung des sogenannten „Guten Regierens / Good Governance“ durch Aktivierung der Bürgergesellschaft, die wirtschaftliche Bestandssicherung und Entwicklung, die Reaktion auf demografisch erkennbare Veränderungen, die Erhaltung und Verbesserung der Lebensqualität im ländlichen Raum sowie nicht zuletzt der Umgang mit natürlichen Ressourcen.
Der im Herbst 2009 ausgeschriebene städtebaulich-architektonische Wettbewerb des Bürgerzentrums umfaßte drei zusammenhängende Planungsabschnitte:
- im Zuge der innerörtlich gewünschten Nachverdichtung die Sanierung mit Ausbau des von der Gemeinde angekauften bäuerlichen Anwesens und seine Umgestaltung zum Bürgerhaus mit Tourismusbüro, Veranstaltungsraum für Arbeitsgruppen, Gewerbevereine etc und optionalem Internetcafé;
- den Neubau eines Büchereigebäudes in Platzbildung mit dem Bürgerhaus;
- die Einbindung des neuen Komplexes in eine ausgreifende, noch weiter zu vervollständigende Städtebau- und Landschaftsplanung einer neuen Dorfmitte mit behutsamer Randbebauung und Erschließung des Talraums nach Westen und Süden (Richtung Naisa, mit sogenannten „Tanzwiesen“ und Ellernbach).
Grundlage für die mögliche Realisierung des neuen kommunalen Innenbereichs war die angepasste Bauleitplanung mit Herausnahme von 21 ha aus bereits ausgewiesenen Ortsrandflächen und ihre Umwidmung in den Ortskern. Ganz im Sinne der Städtebauförderung u.a. mit angestrebter Flächenreduzierung gegen voranschreitende Versiegelungen des Umlands.
Das mühsame, von der überwiegenden Mehrheit der Bürger von Anfang an ganz offenbar bemerkenswert positiv angenommene Planungsverfahren begann im Herbst 2009. Fünf Architekturbüros waren eingeladen und skizzierten ihre Vorstellungen an drei Tagen sehr praktisch vor Ort, unter aktiver Beteiligung der gegründeten vier kommunalen Arbeitsgruppen und der Bürgerschaft. Ein Mediator vermittelte zwischen allen Beteiligten. Eine Fachjury bewertete schließlich die Vorschläge, Gemeindemitglieder waren ohne Stimmrecht eingebunden. Wettbewerbssieger wurde das Kulmbacher Architekturbüro h2m (http://www.h2m-architekten.de), zweiter Sieger das Büro Kuchenreuther in Marktredwitz.
Beim Abgleich der Wettbewerbsentscheidung mit dem schließlich faktisch zur Ausführung gelangten Büchereineubau drängen sich rückblickend jedoch Fragen auf. Die Projektdokumentation der Gemeinde gibt zum Wettbewerb erste grundlegende Auskünfte (siehe Broschüre „Zentrum Lebendiges Litzendorf“). Details aber zur entscheidenden nachwettbewerblichen Projektphase fehlen leider (noch?). Sie könnten mehr und gesicherter Aufschluss geben über die signifikanten Planungsänderungen.
Warum nun „ausgerechnet“ ein Bibliotheksneubau und dann noch in Litzendorf? Die Vorgeschichte ist beeindruckend. Die Bücherei war bis dato in der Schule untergebracht. Im Jahr 2000 verzeichnete sie noch 5.000 Ausleihen, 2010 schon sensationelle 45.000, mit dem Neubau jetzt erhofft man sich annähernd 50.000 (Bürgermeister Möhrlein). Das ist in der Tat eine Erfolgsstory. 24! ehrenamtlich tätige Damen kümmern sich um die Regale und ihren Inhalt.
Besonders der städtebauliche Entwurf (sogenannter Ideenteil) der h2m-Architekten erfuhr im Wettbewerb eine umfänglich positive Würdigung (siehe „Zentrum Lebendiges Litzendorf“, S. 28). Die formulierten Gründe für die Einzelentscheidungen der Jury zum Büchereineubau sind nun jedoch keineswegs unkryptisch. Bis auf den Entwurf von Transform Architektur Bamberg sahen alle vier verbleibenden Vorschläge inclusive h2m-Planung für den Büchereineubau (sogenannter Realisierungsteil) durchgehend eher traditionell giebelständige Lösungen vor jeweils noch ohne eindeutige Platzverengung nach Westen. Die Jury klassifizierte den Neubauentwurf des Büros Kuchenreuther sogar auffallend polemisch als: „bieder“ (das Büro errang dessen ungeachtet den 2. dotierten Platz!).
Einzig Transform Architektur Bamberg plante von Anfang einen signifikant „expressiven modernen Neubau“ mit sich nach Westen deutlich verengender, platzrahmender Baustellung von Neubau und verlängertem Bürgerhaus. Dieser Entwurf wurde von der Jury jedoch abqualifiziert (wenig einladender Raum …, sich aufdrängender Neubau … zu dicht … etc), obwohl er schon deutliche Merkmale der nachwettbewerblichen Umgestaltung durch die h2m-Architekten in sich trug.
Der nun realiter von h2m ausgeführte Baukörper weicht also in Lage und insbesondere in seiner gestalterischen Formgebung markant vom im Wettbewerb noch prämierten Platz-(1)-Entwurf ab. Aus dem ursprünglich meines Erachtens ebenso recht bieder wirkenden, regelmäßig giebelständigen Entwurf war plötzlich nachwettbewerblich ein ebenfalls modernistisch expressiver, vielfältig und ansprechend gegliederter, auch besonders in seiner Außenverschalung beeindruckender und überzeugender Bau geworden. Ein ganz offensichtlich gewagtes, aber haushoch gewonnenes Spiel. Ein Musterbeispiel für mutiges, gelungenes neues Bauen im historischen Umfeld, für die ganze Region, besonders auch für Bamberg.
Der Büchereineubau erhebt sich über trapezförmigem Grundriss mit zwei Obergeschossen und abschließendem sanft keilförmig ansteigenden Dach. Hinter die Außenhaut eingezogene, vollverglaste horizontale und vertikale Fenster und -Bänder sind zur Fläche hin sehr einfühlsam und sparsam gesetzt. Sie lockern die einzelnen Fassaden ansprechend auf. Ihre sehr gelungene Platzierung resultiert u.a. aus der dreigeschossigen Innenfunktion zum Beispiel mit Bildung von Leseecken und dazu bewußt hergestellten Sichtbezügen zu Kirche und Tanzwiesen.
Ausgesprochener clou, im wahrsten Sinne „Glanzstück“ des Neubaus, ist die goldfarbene Streckmetallverschalung aus Messing. Mit der Umplanung nach dem Wettbewerb (Urentwurf eben noch mit vollflächiger Begrünung auf Streckmetallunterkonstruktion) plante h2m-Architekten anfänglich noch vorgeblendetes kupferfarbenes Streckmetall, das aber farblich über kupfergrün zuletzt zu schwarz gealtert wäre (Aussage Bürgermeister Möhrlein).
Nunmehr leuchtet der Neubau wirklich beeindruckend, wenn mit den Zeitläuften auch mit einer optischen Trübung der Oberflächen zu rechnen sein wird.
Einen Vorgeschmack der noch anstehenden großflächigen landschaftsplanerischen Umsetzung nach Westen (Tanzwiesen) gibt die von h2m hiermit jetzt bereits ausgeführte Öffnung zum Ellernbach, mit naturnaher Ufergestaltung und Brücke zu einer kleinen aber feinen rangartig ansteigenden Zuschauertribüne mit Perspektive zurück auf die Bühne des Büchereineubaus und Bürgerhauses.
Interessant wäre ein profunderer Blick hinter die Kulissen des abgelaufenen Entscheidungsprozesses, von den ursprünglichen Wettbewerbsvorschlägen der Siegerarchitekten über die Entscheidung der Jury bis zum Endergebnis nach dem Wettbewerb. Nicht so sehr, was die eher wundersame Heilung vom „Schwarzbau“ zur güldenen Bücherbox anbelangt. Viel eher, was die eigentlich bedeutsame Entwicklung nach der Wettbewerbsentscheidung hin zum jetzt faktisch durchgeführten, deutlich vom ursprünglich prämierten Entwurf abweichenden Neubau betrifft.
Was war geschehen? Warum musste/durfte h2m den eigenen, ebenfalls doch eher zurückhaltend traditionalistisch giebelständigen Entwurf dahingehend überarbeiten? Wer war der plötzliche Wunderheiler?
Wir wissen es (noch) nicht genau. Es darf vermutet werden, dass sich hinter den Kulissen ein höchst interessanter, sich verselbständigter sozio-dynamischer Prozess abgespielt haben wird zwischen Litzendorfer Bürgerschaft, dem Mediator und den Architekten, der letztere zur nun realisierten, deutlich modernistischen Bauform geleitet hat. Wohlgemerkt überhaupt nicht, wie es sich eigentlich die Jury ursprünglich wünschte! Die jetzt erarbeitete Lösung ist ausgesprochen mutig und somit bemerkenswert! Vergleichbare Vorgänge sind nun bei Architektenwettbewerben grundsätzlich keineswegs ungewöhnlich, aber dennoch bedenkenswert.
Das Juryurteil macht sonnenklar, wohin deren Entscheidung tendieren wollte, zu gestalterisch eher traditionsorientierten common-sense-Lösungen. Dass es nicht so kam, muss als eine äußerst positive Überraschung gewertet werden.
Der tieferliegende Grund für diese Wandlung wäre zum einen im außergewöhnlich hohen Grad des Litzendorfer Bürgerengagements zu vermuten. Und, damit eng zusammenhängend, in der frühestzeitigen („basis“-) demokratischen Einbindung der kommunalen Öffentlichkeit. Wider alle Erwartungen besonders gegen die eigentlich richtungsweisenden, aber hier mutlos erscheinenden öffentlichen Meinungsführer in Bausachen!
Alteingesessene Vorurteile wie noch gegen frühere Dorferneuerungsprogramme gehörten in Litzendorf augenscheinlich vom Planungsbeginn an nur in die Vergangenheit. Akzeptanzprobleme gegenüber neuer, auffallend moderner Architektur im historischen Kontext konnten aufgrund der außergewöhnlichen Mitwirkungsbereitschaft der Litzendorfer (so Bürgermeister Möhrlein/CSU) ganz offensichtlich sehr frühzeitig erfolgreich überwunden werden.
Rückblickend gehörte zur Umsetzung des vorgegebenen politischen Rahmenkonzeptes auch kommunalpolitisch viel Mut. Bürgermeister Möhrlein ist ob des erfreulichen Ergebnisses sichtlich stolz, zurecht.
Und wir haben ja überhaupt nichts dagegen, wenn vergleichbare „Wunderheilungen“ endlich auch in Bamberg (vgl. zum Beispiel die dauerheiße Kartoffel Untere Mühlen oder Letzengasse Nr. 24a) Schule machen würden. Mit qualitätvollen, mutigen Architektenvorschlägen und Juryentscheidungen, unter engagierter Bürgerbeteiligung von Anfang an.
Ließe sich so endlich das von den weisen, treudenkend und -sorgenden politischen Gremien (in ständig ahnungsvoller Wahlbefürchtung) schamvoll vor sich her getriebene Akzeptanzproblem neuen Bauens in der alten Stadt zum Nutzen und zur Freude möglichst aller in den Griff bekommen?!
And the Winner is ? : Litzendorf !
Apparat
Kosten und Finanzierung (Angaben Bürgermeister Möhrlein): bisherige Kosten des Bürgerzentrums „Am Wehr 6“ ca. 1.3 Mill. €, Anteil Städtebauförderung 550.000 €, Oberfrankenstiftung ca. 350.000 €, ca. 400.000 € Eigenanteil Gemeinde Litzendorf, Kostensteigerung ca. 3–4 % i.w. durch Handverschalung der Betonsichtwände innen;
Planungsdaten: kommunalpolitische Vorplanung ab lfd. Jahr 2009, Stadt-/Architekturplanung und Wettbewerb Herbst 2009; Rückbaubeginn Herbst 2010, Spatenstich 1.4.2011, Einweihung 23.9.2012;
prämierte und beteiligte Architekturbüros: h2m / Kulmbach (1. Preis f. städtebauliche Gesamtlösung und architektonisches Konzept, Preisgeld 2.500 € f. Architektur, 2.000 € f. Städtebau), Kuchenreuther / Marktredwitz (2. Preis f. architektonisches Konzept, Preisgeld 1.500 €); weitere Beteiligte: Gleisner & Mahnel / Bamberg, Quaas / Weimar, Transform Architekten Bamberg;
eingebundene selbst gegründete kommunale Arbeitsgruppen (ohne Stimmrecht): 1. Städtebau, Ortsbild etc; 2. Wirtschaft, Nahversorgung etc; 3. Natur, Umwelt, Tourismus; 4. Sport, Freizeit, Kultur; ferner die Büchereileitung und die Kreisfachberatung für Gartenbau;
Quellen: Broschüren der Gemeinde „Zentrum Lebendiges L. / Ende 2009/Anf. 2010 sowie „Lebendiges L.“ Januar 2011; Gespräche mit Bürgermeister Möhrlein, Büro h2m / Kulmbach / Herr Müller, Transform Architekten Bamberg/Herr Schäfer;