„Alles schon fotografiert, nur nicht von jedem“; zur Jahresausstellung der „Lichtwerkstatt Bamberg e.V.“

 Wolfgang Neustadt

Natalia Luzenko (Adobe Design Achievement Award 2010, Kategorie „Fotografie“)

Mit o.g. Zitat hatte es Rainer Martin sofort auf den Punkt gebracht. Er leitet die Lichtwerkstatt seit 2000 und kennt kritische Fragen zum Stand der gegenwärtigen Fotografie.

Werden wir doch täglich überflutet von Bildwelten, deren fotografischen Formen wir uns immer weniger bewusst sind.

Verein und Ausstellung

Zwei gemeinsame Rundgänge mit Rainer Martin haben sehr geholfen, sich auf das Medium unter den unzähligen heute möglichen Aspekten wieder besser einzulassen und zu verstehen.

Auch um das hier präsentierte Hobby- und Profihandwerk des zurückliegenden Vereinsjahres einzuordnen und zu vergleichen. Dafür brauchts ein bißchen Konzentration, die dank der gebotenen „musealen Präsentation“ aber leichter fällt.

Die Ausstellung übrigens in nur 5 Minuten abarbeiten zu wollen (was teilweise zu beobachten war !), ist ernsthaft nur Kennern der Szene zuzutrauen bzw. zuzumuten. Die Ausstellung ist quantitativ überschaubar, hat es aber qualitativ in sich. Mit ein wenig Einfühlung ist schnell für alle etwas dabei, subjektiv geschmacklich ohnehin, aber auch zum Lernen über Fotografie. Sehen ist eben nicht gleich sehen!

„Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“ (Karl Valentin): dafür stellt der Verein seinen Mitgliedern Beleuchtung, Studioequipment und Labor bereit, bietet workshops an und lässt vor allem auch keinen allein. 60 Fotobegeisterte aller möglichen Berufsgruppen machen mit (davon 30 aktiv): Studenten, Arbeiter, Angestellte, Akademiker, Amateure und Profis. Hauptzweck bleibt der Austausch von Informationen und Know-how, Hobbypflege halt mit Spaß an der Freude. Verein at its best, ein „netter Haufen“ übrigens!

Die Ausstellung kann einen guten Überblick über die gegenwärtige Fotoästhetik geben. Bei genauerem Hinsehen erzählt sie aber auch viel über die große internationale Foto-, Kunst- und Designgeschichte der letzten mindestens 100 Jahre.

Fotokunst

… kommt auch von Können. Aber nicht nur. Wieviele gute Fotos besitzen keinen oder nur geringen (weil z.B. erst nachträglich durch Präsentation zugewidmeten) Kunstwert? Auch genau darin liegt die Bedeutung von Fotografie: sie ist nicht allein nur Fotokunst. Von Anfang an stand sie im Dienste der, besser einer „Wirklichkeit“, d.h. sie war „praktisch“ ausgerichtet, sie hatte einen „Zweck“. Erst dann kamen die Künstler, die wie Fotografen malen oder wie Maler fotografieren wollten. Die Ausstellung hier macht beides sichtbar.

Jürgen Zeitler (Bamberg: Mitoraj)

Vereinszweck ist es, die Foto„kunst“ zu fördern. Es geht immer um die Wirklichkeit in, vor und hinter den Dingen. Wobei es natürlich mit „Wirklichkeit“ und „Wahrheit“ besonders im heutigen digitalen Zeitalter wesentlich komplexer wird. Schon historische Malerei war wirklich und wahr, abstrakte Malerei etc ist es bis heute, die Kunstströmung des Fotorealismus‘ allemal (1970iger Jahre).

Ausstellung: Formen und Inhalte

Die Ausstellung macht diese Spannweite und Problematik einfach und schön deutlich. Man erkennt fast überall bereits vorgeprägte, bis heute gültige Formen und Inhalte wieder, die Fotografie bis heute weiter ausmachen („alles schon fotografiert, aber …“). Aber die ausgestellten Arbeiten weisen in sich zwangsläufig auch neue „crossover“-Bezüge auf, inhaltlich, historisch, ästhetisch, formal. Alles ist möglich. Zum Beispiel „Akt und Umwelt (-problematik)“, moderne UV-Fototechnologie und futuristische Einflüsse (End-1910er Jahre/Italien-Frankreich), Foto- / Reisejournalismus – Sozialdokumentation – Neue Sachlichkeit / Bauhaus und Verfallsästhetik (ab 1930er Jahre / USA), magischer Realismus / Surrealismus (End-1910er Jahre / Frankreich / Deutschland) mit modern perfekter Bildbearbeitung usw.

Andrea Groh (Tahrir-Platz/Kairo)

Fotojournalismus

Das Vereinsrésumé 2012 bekam durch zwei SW-Fotostrecken von Andrea Groh einen besonderen Schwerpunkt, qualitativ und quantitativ. Sie berichtet fotografisch in Fülle und Qualität sehenswert zum einen vom „Arabischen Frühling“ in Kairo, von dem sie sich am Karfreitag 2012, eigentlich ungeplant, auf dem Tahrir-Platz mitreißen ließ. Sie konnte nicht anders. Ihre Bildsprache ist entsprechend emotional und einfühlsam. Die Menschen und die Ereignisse stehen im Mittelpunkt. Die Bilder zeigen Angst und Unsicherheit, aber auch Mut, Hoffnung und Überzeugung. Der kleine Text dazu rückt das Geschehen emotional nochmal näher. Ein Erlebnis für Bamberg!

Die zweite Strecke fotografierte sie in Indien, auch das ein Zeitdokument. Fotojournalismus pur!

Technisches: SW-Fotografie und HDR

Natürlich spielt die eigentlich ausgestorbene Schwarz-Weiß-Technik, analog natürlich, in einem künstlerisch denkenden Fotoclub eine immer noch herausgehobene Rolle. Nicht nur Freaks schwören darauf, Bildjournalisten auch, Aktfotografen ohnehin.

Die Möglichkeit, erst nach dem mit allen denkbaren Informationen aufgenommenen Digitalfoto zu entscheiden, ob Form und Inhalt besser in Farbe rüberkommen oder in SW, ist für SW-Hardliner rein gar keine Option. Die Entscheidung muss vorher stehen. So bietet die HDR-Technologie bereits seit geraumer Zeit phänomenale rein digitale und informationstechnisch, besser: informations-künstlerisch, überraschende Lösungen an. In SW und/oder Farbe, aber nur nicht mehr analog.

Rainer Martin (Diva)

Aktfotografie

Deutlicher Schwerpunkt ist, wie schon angedeutet, die Aktfotografie. Über das psychologische „Verhältnis“ von Maler / Fotograf und Modell wurde schon viel gefachsimpelt und zu ergründen versucht. Rainer Martin kennt die Feinheiten und Abgründe. Es geht um Haut und Körper, Raum, Licht, Stoff, passende Hintergründe, Rollenkarton oder Musik, Stimmungen und freie Bewegung, hintergründig natürlich auch um Erotik. Schon Vorabsprachen können schnell wichtig sein, auch scheitern. Passt das jeweilige Gegenüber wirklich zu den eigenen Vorstellungen? Nicht jede(r) hat ein geeignetes, gelöstes Verhältnis zum eigenen Körper oder gerade zu „der“ Musik oder Schokolade. Männer sind (ganz) anders als Frauen. Es ist beim Modell immer ein Stück eigenes Ich, was rübergeht und oft auch -kommt.

Martin Maximilian Steiner (Schaufenster)

Werbefotografie

Natürlich steckt bei vielen ausgestellten Arbeiten Werbefotografie mit der ihr eigenen Ikonografie drin, bewußt oder nur unbewußt. Eine Ästhetik, die inhaltlich und formal direkt, provokant, hintergründig und somit schon längst auch „schön“ sein kann. Sie wurde als Stilmittel vor mehr als 70 Jahren entdeckt und dann sogar von der Popart künstlerisch eingesetzt und genutzt, damit auch bewußt gemacht.

Aljoscha Eidloth (Überblendung)

Kunstfotografie und magischer Realismus

Fotografie war seit ihren „künstlerischen“ Anfängen an schnell „magisches Mittel“. Bot sie doch ab Eadweard Muybridge (1870iger Jahre) erstmals die Technik an, für das menschliche Auge unsichtbare Hintergründe darzustellen. Für die Kunst der Beginn einer unschätzbaren Entwicklung, die sie ästhetisch total veränderte, indem sie Wirklichkeit und Wahrheit in einen komplett neuen Zusammenhang zu uns und zur Natur stellte.

Ein wesentliches formal-inhaltliches Element wurde Irritation durch Verfremdung, Zufall, Überraschung (heute „Schock“). Der Fotografie ureigenst innewohnende Stilmittel. Eine „schlechte“ unscharfe fotografische Momentaufnahme wußte die Malerei zu nutzen (Impressionismus). Daraus wurde bis ins laufende 20. Jahrhundert hinein ein fast alle Kunstformen packendes Motiv (insbesondere Malerei und Skulptur, Foto und Film). Picasso und die Abstraktion sind ohne Fotografie nicht denkbar. Die Fotografie schließlich blieb reziprok auch nicht unberührt von diesen Entwicklungen, so dass magischer Realismus und Surrealismus auch hier stattfanden. Zum Beispiel mit dem bewußten Einsatz von Bildausschnitten, „automatischen Abläufen / Serien“, Collagen und Montagen. Selbst die „neusachliche“ Bauhausfotografie (und -malerei natürlich) erscheint ohne diese frühen Entwicklungen und ihre gegenseitigen Wechselwirkungen nicht logisch (u.a. Moholy-Nagy, Schwitters), genau wie die Werbefotografie.

Daniel Preußner (Schwarzlicht/UV)

Futuristen und Surrealisten wirken u.a. als Maler, aber auch als Fotografen, bis heute nach (Bragaglia, Man Ray, Marcel Duchamps, s.a. deutsche Dadaisten, s.a. Filmästhetik). Ihre prägenden Stilmittel waren die Einbeziehung des Unbewußten und Absurden, auch eingesetzt als einfach nur (anarchistische) Provokation. Ausgerechnet die Fotografie hatte (neben Freud natürlich) dazu beigetragen, der doch in ihren Uranfängen „nur“ die sichtbare Wirklichkeit am Herzen lag.

Von alledem lebt erstmal jede Fotoausstellung, aber eben auch diese hier mit all den vielen offenliegenden oder versteckten Facetten, klein aber fein!

Lichtwerkstatt Bamberg e.V., Ludwigstraße 22/Innenhof, 96052 Bamberg, T 0951/61238, Vorsitzender Rainer Martin: T 0171 5705806; Lichtwerkstatt@t-online.de; http://lichtwerkstatt-bamberg.de/
16. Jahresausstellung kreative Fotografie, vom 9.11. noch bis Sonntag 18.11., Öffnungszeiten werktags 18 – 22 Uhr, Sa und So 14 – 22; Eintritt frei