Von Musicouskuß
Nein, hatte Patrick L. Schmitz gleich eingangs konstatiert, denn es wüssten vielleicht nicht alle (obwohl er in der Stadt auch außerhalb des E.T.A.-Hoffmann-Theaters ziemlich präsent ist), er sei nicht, wie noch auf dem Programmzettel angekündigt und ausführlich gewürdigt, Florian Walter. Der nämlich müsse just hundertfünfzig Meter weiter – Schmitz‘ rechter Arm deutete Richtung Alte Hofhaltung – proben. Die Caldéron-Spiele (Lewandowski, wer sonst) stehen bevor. Walter hoffe wahrscheinlich, dass „das Wetter nicht hält. Wir hoffen, dass das Wetter hält.“
Der Wunsch sollte beinahe in Erfüllung gehen, nur für das Mozart-Finale und die Zugabe musste man im Pavillon Zuflucht suchen. Schmitz würzte seine Moderation immer wieder mit wirklich überraschenden Pointen, rezitierte Gedichte, Fabeln und Famoses, führte verschmitzt und am Ende auch verschwitzt durch einen Serenadenabend, der in vielem nur als einzigartig zu bezeichnen ist. Oder haben Sie schon einmal ein Werk für zwei Blockflöten, Oboe und Cello gehört? Nota bene nicht als Quartett, sondern in Duo-Besetzung.
Nadine und Eduard Resatsch machten es am Samstagabend im Rosengarten möglich, Englischhornistin beim Konzerthausorchester Berlin (über dessen Aufführungen Alban Nikolai Herbst, Stipendiat der Villa Concordia 2006/07, lesenswerte Kritiken schreibt) sie, er zu finden als einer von neun Glücklichen in den derzeit etwas lichten Celloreihen der Bamberger Symphoniker – Bayerische Staatsphilharmonie. Vor einer Dekade haben sich der Lemberger und die Gundelsheimerin zu dem Duo CellObö zusammengetan, um das faszinierende Klangspektrum auszuloten, das dieser apart-schmackhaften Liaison zwischen eher hohem Holz und eher tiefem Streichinstrument zu Gebote steht.
Im Orchester ist diese Kombination öfters zu erleben, Brahms liebt sie (und wir lieben ihn, aber nicht nur dafür), beispielsweise wenn er im dritten Satz der Zweiten über den Pizzicati der Celli die Solo-Oboe im Dreivierteltakt graziös tänzeln lässt, wenn er im Poco allegretto seines Opus 90 die Oboe den Espressivo-Gesang des Violoncellos aufnehmen lässt, bei dem sich acht Jahrzehnte später auch Georges Auric und Yves Montand bedienen würden. Freilich mischen da ja immer noch Kollegen mit, elf weitere Cellisten, oder Solo-Flöte plus Solo-Horn.
Aber Oboe und Cello pur? Ein Rarissimum. Um so erfreulicher, dass es die Resatschs schafften, überwiegend Originalliteratur zu bringen, statt auf Bearbeitungen irgendwelcher, teils abgenudelter, Klassiker zurückzugreifen. Die „Ouvertüre“ machte eben diese aus dem G-Dur-Duo des Mähren Paul Wranitzky, der sich mit Mozart gerade noch so – 30. Dezember – das Geburtsjahr teilt und der bei der Uraufführung von Beethovens Erster am Pult stand. Allen „Taktirens ungeachtet“ sei da aber „kein Feuer mehr – besonders in das Spiel der Blasinstrumente“ zu bringen gewesen, heißt es in der „Allgemeinen musikalischen Zeitung“ vom Oktober 1800. Im Rosengarten war das Feuer, besonders im Spiel der Oboe, da. Ein vergnüglicher, ein putzmunterer Auftakt.
„Der Eddy hat jetzt schon ein paar Stücke geschrieben“, erzählte Resatschs Schwiegermutter am Rande der Freitags-Serenade mit dem EMY-Trio. Resatsch war gefragt an diesem Wochenende, ob mit Staatsphilharmonischen Steicherinnen oder anderntags mit seiner Frau, mit CellObö und drei seiner Kompositionen. Hermann Hesses „Adagio“ aus der „Feierlichen Abendmusik“ inspirierte Resatsch zu seinem „Adagietto“. Eine schwelgerische Elegie à deux, fest im spätromantischen Melos verankert, mit großem Atem (Nadine) und fein dosiertem Bogendruck (Eduard) „göttlicher Ahnung folgend“ in die noch „milde Nacht“ geschickt, deren „sanftes Gewölke“ sich immer mehr verdunkeln sollte.
Mehr Hesse dann, mit Sinn für Rhythmus und kleinteilige Steigerung rezitiert von Schmitz, mehr CellObö, mehr vom komponierenden Cellisten Resatsch, für den „Nachts im April [1962] notiert“, abermals Hesse, ein gefundenes Fressen gewesen sein dürfte: „O daß es Töne gibt: / Sopran, Baß, Horn, Oboe!“ Aus „Blau, Gelb, Weiß, Rot und Grün!“, allesamt im Rosengarten gegenwärtig, schöpfte Resatsch seine (Klang-)„Farben des Sommers“. Wonne oder Leid? Von letzterem wusste der in Liebesdingen über weite Strecken nicht eben glückliche Hesse ein Lied zu singen. Bei Resatsch fand dies Ausdruck in einer langen, wilden, zwischen Kadenz, Improvisation und spätem Zwiegespräch changierenden Passage, in welche Schmitz‘ schrille Schreie Blitzen gleich einschlugen. Spannung! Aggression!! Aber du hast doch… Neiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiin!!! In der Reprise hellten sich die „Farben des Sommers“ wieder auf und klangen versöhnlich aus. Die „Sommerwonne“ und die Freude darüber waren zurück.
Auf die entspannte C-Dur-Freundlichkeit einer Sonate von Carlo Besozzi (der sich laut Programmzettel mit Mozart das Todesjahr teilt) folgte nach der Pause ein dritter, durch und durch spektakulärer Resatsch, „hall – WIDER – hall“, der im Spiel mit Raum und Echo von fern an Berlioz, an Mahler und Ligeti erinnerte. Schon das eine packende Sache an sich. Endlich am Pavillon angekommen, tauschte Nadine die Oboe gegen die Blockflöte. Nichts Außergewöhnliches, noch. Aber es waren deren zwei, und sie spielte sie gleichzeitig, eine im linken, die zweite im rechten Mundwinkel, lieferte leicht minimalistische Rhythmen und ein harmonisches Fundament, zu welchem Eduard dann das Cello tanzen ließ. Schließlich wurde man auch noch Zeuge, wie eine Blockflöte zu dekonstruieren ist. Am Schluss blieben nur noch das Kopfstück und eine Hand als Wa-Wa-Dämpfer. Wie ein Naturlaut, fast.
Die Natur sollte dann tatsächlich Laut geben, doch dem für einen Cellisten von Format obligatorischen Bach, diesmal aus der C-Dur-Suite BWV 1009, konnte man noch im Freien folgen. Für Mozarts Duo-Sonate F-Dur KV 292 und das Con-fuoco-Encore musste es dann der Pavillon sein. Beifall im gefühlten Fortefortissimo, und eine schöne Szene zum Abschied. Nach den offiziellen Rosen für Sprecher und Instrumentalisten gab es kleine Bouquets in dunklem Violett, je eines für Mutter und Papa. Glückes genug. Die vielleicht zweijährige Tochter hatte sie, angesichts der vielen Leute etwas schüchtern-zurückhaltend, dabei ist man sich ja innigst vertraut, überreicht.
Weiter geht es mit den Rosengarten-Serenaden am 20. Juli. Unter der Leitung von Hans-Christian Euler und mit der Solistin Lucja Madziar gibt Pro Artibus Hannover „Le quattro stagioni“ von Antonio Vivaldi. Auch hier also wieder die Verbindung von Gedicht und Tonkunst, von Sound und Sonetten.