Tot

… und natürlich wusste ich es nicht, hatte keinerlei Vorstellung davon wie es sich anfühlt, wenn das Fleisch von den Knochen fällt. Es fällt das Gefühl für das Fleisch mit ab. Bleibt das Gefühl für die Knochen, die nun wurzelumwunden in der Erde lagen. Leben spürend, nur nicht das eigene, das ja längst erloschen. Es war das Leben eines Baumes, der gierig nach Nährstoffen saugend, sich zwischen und um die Knochen wurzelnd wand. Erinnerungen. Quälende. Seltsam, selbst im Tode, der nun auch schon viele Jahrzehnte zurück lag, hörten sie nicht auf. Wurden nur deutlicher, sortierter, gewaltiger und starben nicht. Nein, sie starben nicht mit dem letzten Aufbäumen des Körpers. Der Geist, sich langsam aus dem Körper windend, den Wurzeln nicht unähnlich, hatte sie alle gesammelt. Er wand sich, bis auch der letzte Teil des Körpers zu Staub zerfallen war. Dann machte er sich auf, suchte die Seele. Die eigene? Wer weiß das zu sagen.

© Cornelia Stößel

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