In der Superblase der Gierkultur

Werner Schwarzanger

Ulrike Herrmann: Der Sieg des Kapitals

Was ist eigentlich der Kapitalismus? Wie entstand er? Wie funktioniert er? Und worauf läuft sein beispielloser Sieg heillos hinaus? Diesen Fragen geht Ulrike Herrmann, die philosophisch versierte Bankkauffrau und Wirtschaftskorrespondentin der taz, in ihrem 2016 in achter Auflage erschienenen Buch über den „Sieg des Kapitals“ ebenso kompetent wie unterhaltsam nach.

Längst hat der in einer begrenzten Biosphäre auf grenzenlosen Verschleiß erpicht rohstofffressende und die Erde mit rund 100.000 Chemikalien vergiftende und überhitzende Kapitalismus sich die ihm allein gemäße Gierkultur einer Überflussgesellschaft hergestellt, die in Spekulationswellen zwischen Boom und Krise immer höherschaukelnd ihrer Zukunft den Boden entzieht. Gestartet hat dieser Triumphzug der Erdverheizung um 1760 im Nordwesten Englands, als Textilfabrikanten Webstühle und Spinnereien zu mechanisieren und mit dieser ersten industriellen Revolution menschliche Arbeit durch Maschinen zu ersetzen begannen. Dann ging es Schlag auf Schlag. Die Eisenbahn revolutionierte Stahlindustrie und Maschinenbau und die Elektrotechnik bald darauf den Alltag überhaupt. Um 1880 begannen die Löhne zu steigen und ermöglichten die Anfänge des Massenkonsums. Mit der digitalen Versmartung von allem und allen zum singulären Superhirn hat die Verkapitalisierung der Welt endgültig auf Erden gesiegt.

Freilich ist das Geld als solches noch nicht Kapital. Die antiken rkte waren so wenig kapitalistisch wie der mittelalterliche Gänse- oder Korn- oder Holz- oder Heumarkt. Geld ist das aus dem Tausch abstrahierte und staatlich garantierte kaufkräftige Zahlenspiel und bleibt als solches ein durch die Wirtschaftsleistung eines Landes gedecktes „Zahlungsversprechen, das niemals eingelöst wird“. Der Kapitalismus braucht also den Staat. Ohne die permanente Intervention der von den Megakonzernen mitregierten Auftragsstaaten könnte er nicht funktionieren. Und nicht etwa der altertümlich Geld gegen Waren tauschende Markt treibt ihn an, sondern die permanente technische Innovation, ohne deren disruptiven Orkan bald erläge. „Frei“ sich entfalten kann die Marktwirtschaft nur sehr begrenzt, bleibt sie doch eingebettet in der dezentral plutokratischen Planwirtschaft der ihrerseits in die Oberen Zehntausend eingebettet der Konkurrenz entzogenen Megakonzerne, die mehr als die Hälfte aller Umsätze erwirtschaften und damit den Markt mit ihren Aufsichtsrat-„Kartell der Kontrolleure“ beherrschen. In der plutokratischen Spitze herrscht statt Wettbewerb das Insidernetworking der Bosse.

Ulrike Herrmann durchschaut die für den fairen Wettbewerb von jedermann freie Marktwirtschaft als den Scheinriesen, der von der faktischen Herrschaft der monopolistisch kooperierenden Megakonzerne ablenken soll. Diesen Scheinriesen zu propagieren hat freilich die neoliberale Mammonsekte allen Grund. Kann sie damit doch pseudodemokratisch bemänteln, wie rigoros sie die Leistungsgesellschaft auf die Spielwiese der Kleinunternehmer in ihren Nischen beschränkt wissen will. Der freie Wettbewerb, so trichtert sie ihren Mitläufern ein, ist der wundersame Wohlstandsmotor, der von staatlicher Regulierung befreit derart exponentiell wachsen könnte, dass er alle bereicherte. hrend die neoliberale Politik darauf hinausläuft, die Finanzmärkte zu deregulierten, den Reichen die Steuern zu senken und den Armen die Löhne zu drücken, lockt sie die Mitläufer in die Falle der Selbstoptimierung, wo man sich ohne Rücksicht auf die erderhaltende Ökologie des großen Ganzen effizientestens zur Ware zu performen hat, die auf einem konsequent von Staat und Gewerkschaft befreit „freien“ Markt zum niedrigsten Preis käuflich wäre.

Der Weltmarkt ist die Internationale des Kapitals. Sekündlich jagt das global vernetzte Finanzkapital Milliarden virtueller Dollar um die Erde. Ungleich profitabler als das noch erdbehäbig investierende Realkapital, bläst es seit dreißig Jahren die Superblase auf. Vor dem Big Crash 1929 betrug der Schuldenstand der durch Kredite aufgeblähten amerikanischen Wirtschaft rund 300 Prozent. Heute beträgt er rund 350 ProzentDie Eurokrise aber könnte zum Zünglein an der Waage werden, das die Superblase der virtuellen Geld-durch-Geld-Rotation der Aktien und Derivate zum Platzen bringt und damit „die größte Depression aller Zeiten“ bereitet.


Ulrike Herrmann: Der Sieg des Kapitals

288 Seiten, Broschur
ISBN: 978-3-492-30568-6
Preis: € 10,00