Monika Schau
Die Normandie ist nicht nur Bauernland. Sie ist auch ein Land mit viel Küste und umgekehrt. Das spiegelt sich natürlich im Speiseplan der Region. An der über 300 Kilometer langen Küstenlinie zum Ärmelkanal findet man den frischesten Fisch und eine Vielzahl an Meeresfrüchten, wie Miesmuscheln, Herzmuscheln, Hummer, Garnelen, Taschenkrebsen, Strandschnecken und Seespinnen.
Die Gewässer vor der Küste bieten außerdem die idealen Bedingungen für die Austernzucht und so findet man an jedem Hafen und auf jedem Markt in der Normandie frische Austern – zum Kaufen und/oder zum Gleich-Probieren.
Meeresfrüchte werden mit Baguette, leicht gesalzener Butter und trockenem Cidre genossen. Übrigens nicht mit Roggenbrot, wie es in der Provençe üblich ist. Und Muscheln gibt es – wie in Belgien – mit Pommes frites!
Gutes Essen gehört zum Alltag!
Überhaupt sind die Preise in den Restaurants – auch in den Tourismushochburgen, wie Honfleur, Le Havre oder Dieppe –, aber auch im Landesinneren, wie in Rouen, durchaus erschwinglich. Gutes Essen gehört zum Alltag! Man kann unter verschiedenen Vorspeisen wählen, wobei durchaus Austern (natürlich nicht sehr große), Fischsuppe oder Pastete dabei sein kann. Danach gibt’s ein Hauptgericht mit Fisch oder Fleisch und ein Dessert. Das alles ist nicht teurer als 18–20 €, wobei das Essen gut bis sehr gut ist: nach zwei Stunden geht’s dann weiter im Alltag oder Urlaub.
Die vielen Fischarten – Seezunge (Sole), Steinbutt (Turbot), Kabeljau (Morue) und Makrele (Maquereau) – werden meistens mit einer leckeren Sauce serviert. Das kann zum Einen eine Sahnesauce mit ein wenig Cidre für den Geschmack sein oder auch – ganz beliebt – eine Senfsauce, die hervorragend dazu schmeckt.
An der Küste kann man direkt von der Fischerfrau die frischesten Fische kaufen – praktisch the catch of the day – wunderbar. Ich habe Rochenflügel und Kabeljau gekauft. Einen Kabeljau, ca. 4,5 cm dick, kurz in der Pfanne in Öl angebraten, gewendet, dann gerade mal so lange in den vorgewärmten Ofen gelegt, bis er sich noch etwas glasig auffächerte. Eine Offenbarung!
Die reiche Auswahl an Meeresgetier und -früchten gibt es natürlich auch fertig gegart und kann als Vorspeise gegessen werden. Ich habe das schon seit Jahren im Angebot bei meinem Wanderzirkus (= Partyservice „Die Leihküche – genießen erwünscht„). Aber wie sich in der Normandie, wahrscheinlich in ganz Frankreich, diese sogenannten Traiteurs entwickelt haben, ist schier unvorstellbar. Da viele Französinnen arbeiten, muss es am Abend schnell gehen. Doch Vorspeise, Hauptspeise und Nachtisch sind obligatorisch. Bei uns muss es billig und viel sein. Ob es schmeckt, sei mal dahin gestellt. Aber: Aus nix werd nix. So einfach ist das! Wann beginnen unsere Franken endlich, das einzusehen? Hauptsache der Bauch ist voll. In Frankreich hingegen …
Welche EssKultur bei den Franzosen
Die Auslagen sind voll von diesen kleinen Leckereien und man kann davon ausgehen: Die werden auch gekauft – sonst würden sie ja nicht in dieser Vielfalt angeboten. Welch ein hoher Anspruch und vor allem welche EssKultur bei den Franzosen. Da sind die Italiener, die ich ja immer als Vorbild erwähne, noch viel bodenständiger. Wo bekommt man in Deutschland auf einer Autobahnraststätte auf der Menükarte Kalbsnieren oder Kalbsbries angeboten? Keine Currywurst, kein Wiener Schnitzel (nach Wiener Art, weil vom Schwein), kein zu lange gegarter Mampf.
Ein Wunder, das hinter Saarbrücken bereits anfängt.
Und dazu muss ich sagen, diese Auslagen habe ich in Städtchen mit einem Viertel der Einwohnerzahlen wie Bamberg fotografiert. Außerhalb der Saison – also gehe ich davon aus, dass das Angebot in Touristenstädten noch üppiger ist. Ich glaube, die Fotos sprechen für sich.
Vor allem – die Auslagen der Geschäfte haben es mir angetan. Das ist eine Präsentation, die ich nur aus Großstädten kenne.
Hier einmal etwas nicht Essbares:
Sie besiedeln Versammlungsräume und regruppieren sich rein instinktmäßig um die Kaffeemaschine (Übersetzung der Auslage in einem Kleidergeschäft für Männerbekleidung, oben).
Kulinarische Vielfalt
Regionale Spezialitäten werden auf jedem Markt angeboten. Die Charcutiers, also die Wurstmacher, sind berühmt und es kommt einem so vor, als sei man im Schlaraffenland (mir geht es jedenfalls so). Da gibt es kleine dicke Würste und lange dünne, sehr harte und ganz weiche, die an Schinken erinnern. Aus jeder Region stammen die unterschiedlichsten Sachen und dann noch eine Vielzahl von Terrinen und Rillettes.
Alle erdenklichen Obst- und Gemüsesorten und Kräuter der Region werden angeboten. Exotische Früchte wie Mango, Papaya oder Ananas gibt es weniger, dafür alles, was um diese Jahreszeit vor Ort schon geerntet werden kann. Die klimatischen Bedingungen lassen alles früher reifen.
Am Fleischstand (Boucherie) gibt es gerade Fleisch vom Charolais Rind. Dieses Fleisch ist besonders würzig und hat einen ausgeprägten Geschmack der roten Fleischaromen. Die Tiere sind ganzjährig auf den Weiden und die reichen oft direkt bis an die Felsensteilküste. So fressen sie täglich Gras und Kräuter, die durch die salzige Meeresbrise besonders reichhaltig an Mineralstoffen sind und die Qualität fördern. Das Fleisch ist infolge der Weidung auf den marais salant (den salzigen Weiden) vorgesalzen und von unvergleichlichem Geschmack. Deswegen schmeckt auch die Butter immer leicht gesalzen und das ohne Zugabe von Salzkörnern. Der Preis ist entsprechend, jedoch essen die Franzosen, ähnlich den Schweizern und Italienern, lieber etwas weniger, davon aber von ausgezeichneter Qualität.
Die Desserts
Kuchen und Kekse werden mit Butter zubereitet, und jede Region hat ihre Spezialität (Galettes, Brioches, Sablés, Chaussons aux pommes). Konfekt, Pralinen, Schokolade und Bonbons gibt es in reicher Auswahl, darunter Sucres de pommes und Berlingots oder Chiques. Douillons sind mit Butter gefüllte, in Teig gehüllte Birnen. Es gibt mit Calvados gefülltes Schokoladenkonfekt, Karamellbonbons und Balivernes, Sablés.
Hier muss ich abschließend noch etwas über die Auslagen der Geschäfte sagen. Wenn man aus der Ess-Provinz kommt wie ich, kann man sich einfach nicht satt sehen an diesen Fenstern. Zum einen das Überangebot an den tollsten Sachen und dann noch zusätzlich diese Präsentation – einfach unvorstellbar! Für mich, die ich ja (fast) nichts Süßes esse, eine Versuchung, die alleine durch das Anschauen kommt – wie geht es dann den anderen?
Hier einige der tollsten Auslagen:
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Monika Schau schreibt jeden Monat für die Leser der Bamberger Online Zeitung. Jedes Mal ein Mix aus Orts- und/oder Volkskunde und ein Fest für die Sinne – Lebensart eben. Ende Dezember widmete sie sich den Rauhnächten mit den vielerorts vergessenen Traditionen und den unvergessenen Gerichten. Erst im Mai stellte sie Junges Gemüse vor mit einer Grünen Frankfurter – nein! – Bamberger Sauce. Im April entführte sie uns nach Budapest und in die dortigen Markthallen, rezitierte das Revolutionsgedicht von Sandor Petőfi und reizte die Sinne nicht nur mit Mohnstrudel. Bereits im Februar wollte sie mit dem Winter ade-Menu und einem Vorwort zum Pferdefleisch ins Frühjahr starten und erzählte uns für die Nachspeise etwas über Cedri. Zuvor waren wir mit ihr in Venedigs Karneval und Leckereien. Das Jahr 2013 begann mit Gaumenschmaus und Seelenfutter – Die Küche im Wiener Kaiserreich, einem Januar-Menue aus Rinderbrühe, dem perfekten Wiener Schnitzel und Palatschinken. Das Jahr 2012 schloss mit einem typisch fränkischen Dezembermenü: A ganz a schööns Gänsla. Wobei natürlich das Gänseschlachten mit einem Schluck zur Stärkung zwischendurch zelebriert werden muss. Zuvor wurden unsere Leser schon mal vorbereitet Die Sau ist tot. Mit der Kochschule der Besseresser ist Monika Schau bekannt. Die Herbst/zeit/lose Gerichte sind ja nicht ganz so herbstzeitlos, wenn man Kürbis, Steinpilze und Spitzkraut bedenkt. Monika Schau gab bislang auch Tipps für Gerichte, bei denen es wohl nicht für Alle eine Freude ist, sie nachzukochen und vor allem zu essen. Es gibt nämlich nur wenige Kochbegeisterte, die sich an solche Gerichte überhaupt rantrauen: Das Unessbare auf den Tellern hat einen Namen: Innereien. Im vergangenen September zitierte sie Lea Linster, eine der besten Köchinnen Luxemburgs: Wenn Du das Huhn, das Du in die Röhre schiebst, nicht liebst — lässt es Dich im Stich. Im Sommer entführte sie uns in die Cuina Catálan: Unser Sommermenü: Mar y muntanya / Meer und Berge. Ihr Eingangsmenu bei der OnlineZeitung stammte ebenfalls aus der Kochschule für Besseresser: Die neue esS-KLASSE. Im Sommer empfahl sie als Sommermenue: Barbecue mit fried green tomatoes und Kritisches zum Junkfood, entführte unsere Leser in die Kellerzeit und nach Ligurien – Das Land wo die Zitronen blühen.
Im September ging es in die Provence: Baguette, Bouillabaisse mit Rouille und danach Tarte tatin. Überall ist jetzt von Queller die Rede, im Oktober auch bei uns Gaumenkitzel. Herbstliches Seelenfutter Wissen Sie, dass Kartoffelbrei glücklich macht? Natürlich selbst gemacht und nicht aus der Packung. In “Gessn werd daham” eine Liebeserklärung an – was wohl? Das Menu zum Frühjahr In Cod We Trust(ed) bietet neben Rezepten für Fischklößchen, Kabeljau in Senfsauce sowie die Anleitung einer Court Bouillon und einer Aprikosensuppe mit Schokotörtchen wieder allerhand Wissenswertes über das Drumherum. Und natürlich geschmückt wieder mit eigenen wunderbaren Photos. Zu Beginn tangiert sie das Thema Überfischung vor Neufundland. In Normandie – das Schlaraffenland gibt sie einen Einblick in die Küche der Normandie und ihre Bemühungen um die “Boulangerie tradition”. Außerdem erhält man endlich Antwort auf die Frage: “Warum sind Butter und Käse aus der Normandie so unglaublich lecker?”.