Viele Worte, aber keine Taten: wie die Eisenbahnlobby den Rückwärtsgang in Sachen Bahnlärmminderung einlegt

Willi Pusch (Bundes Vereinigung gegen Schienenlärm e.V.)

KAMP-BORNHOFEN: Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt ist noch keine 100 Tage im Amt, schon steht er und die große Koalition vor der ersten großen Bewährungsprobe in Sachen Bahnlärm: Die Lobby der Waggonbesitzer verweigert sich dem von Amtsvorgänger Ramsauer ausgedachten Programm zur Bahnlärmreduzierung, das als Kernelement die Umrüstung der vorhandenen Grauguss(GG)-Bremsen der Güterwaggons auf sog. „LL-Sohlen“ (propagandistisch auch als „Flüsterbremsen“ bezeichnet) vorsah. Diese waren als Ergebnis einer mehrjährigen Erprobung erst Mitte 2013 von den Eisenbahngenehmigungsbehörden europaweit zugelassen worden.

Bereits am 14. Januar 2014 erklärte der Vize-Vorsitzende der Vereinigung der Privatgüterwagen-Interessenten (VPI), Rainer Zechendorf, auf dem „VPI-Symposium“, dass die derzeitigen Regelungen diejenigen Wagenhalter benachteiligen, die zum Schutz der lärmgeplagten Anwohner von Bahnlinien frühzeitig auf die „LL-Sohlen“ umrüsten; hingegen würden diejenigen, die die Umrüstung weiter hinauszögern und darauf spekulieren, dass der Betrieb von Graugussbremsen auch nach 2020 noch erlaubt wäre, sich Wettbewerbsvorteile verschaffen. Denn die Subventionierung deckt zwar die Kosten der Umrüstung, aber nicht die Mehrkosten des Betriebs ab. Der VPI forderte daher ein europaweites lärmabhängiges Vereinsregister Nr.: VR-7012 – Amtsgericht Hannover Steuernummer: 25/206/39231 – Finanzamt Hannover-Nord.

Trassenpreissystem, ein verbindliches Verbot der herkömmlichen GG-Bremsen ab 2020 sowie eine höhere Subventionierung der Betriebsmehrkosten.

Am 6. Februar 2014 erhöhte der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) den Druck auf Verkehrsminister Dobrindt und die große Koaltion, indem er in einer Presseinformation erklärte, dass die Vorgaben der Großen Koalition für die Branche nicht umsetzbar seien, weil der Zeitraum zu kurz wäre. Die Bundesregierung will laut Koalitionsvertrag bereits im Jahr 2016 prüfen, ob mindestens die Hälfte der rund 180.000 in Deutschland fahrenden Güterwagen mit „Flüsterbremsen“ umgerüstet sind. Ansonsten drohten ordnungspolitische Maßnahmen wie Nachtfahrverbote.

Der VDV ist der Meinung, dass die Einführung betrieblicher Beschränkungen für laute Güterwagen „katastrophale Folgen für den gesamten Eisenbahnverkehr“ hätte, und hat daher eine „Studie“ in Auftrag gegeben, mit der dies nachgewiesen werden soll.

Am 12. Februar 2014 teilte nun die VTG AG (2013: Umsatz 780 Mio. EUR, operativer Gewinn 180 Mio. EUR), eines der führenden Waggonvermiet- und Schienenlogistikunternehmen in Europa mit weltweit 52.700 Güterwagen, mit, dass sie nur 12 (!) Kesselwagen umrüsten und diese bis 2016 in einer Pilotphase testen wolle; abhängig von den dabei gesammelten Erfahrungen sollen dann ggf. weitere Waggons umgerüstet werden.

Die Bundesvereinigung gegen Schienenlärm überrascht dieser offensichtlich koordinierte Vorstoß der Bahnlärmlobby nicht. Auch die Argumentation ist seit Jahrzehnten die gleiche: Weil die Eisenbahn angeblich so umweltfreundlich ist und zur Erreichung der Klimaschutzziele noch mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagert werden müsse, dürfen dem Sektor keinerlei Kosten für die Minderung der immensen Umweltschäden (externe Kosten) aufgebürdet werden; vielmehr müsste der Staat noch mehr Subventionen zahlen. Zwar wäre der gesamte Eisenbahnsektor für mehr Lärmschutz, aber leider, leider fehle ihr dafür das Geld.

Seit dem Inkrafttreten des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) im Jahre 1974 war das Bemühen der Eisenbahnindustrie jedoch nicht darauf gerichtet, durch technische Innovationen die bereits damals unzumutbaren Verhältnisse an allen bundesdeutschen Hauptstrecken zu mindern. Vielmehr wurde alle Energie darauf verwendet, durch personelle Verquickungen und massive Lobbyarbeit die Gesetzgebung davon abzuhalten, regulativ einzugreifen und für die Eisenbahn die gleichen Umweltstandards wie für alle anderen Verkehrsträger zu setzen. Dem wurde die Krone aufgesetzt durch die Erfindung des sog. Schienenbonus: Die Eisenbahn durfte mit Billigung des Gesetzgebers deutlich lauter sein als andere Verkehrsträger – mit der Behauptung, dass der Schienenverkehrslärm weniger lästig sei als etwa der Straßenverkehrslärm. Die Ergebnisse der Lärmwirkungsforschung machten eher das Gegenteil deutlich, ohne Folgen für die Lärmprivilegierung des Bahnsektors. Unter dem Schutz des Schienenbonus hatten es die Güterwaggon-Betreiber jahrzehntelang nicht nötig, in lärmmindernde Fahrzeugtechnik zu investieren. Dadurch haben sie 30 Jahre lang Milliarden eingespart, das Verursacherprinzip ausgehebelt und so vor allem die gesundheitlichen die Folgeschäden des Lärmterrors in andere Sektoren der Volkswirtschaft verschoben. Doch damit nicht genug: Die enormen Kosten für Schallschutzwände und Spezialfenster blieben beim Bund und damit beim Steuerzahler hängen. So wurde der Fortschritt nicht nur verschlafen, sondern bewusst hintertrieben: Schienenfahrzeuge für den Personenverkehr, Straßen- und Luftfahrzeuge wurden deutlich leiser. Schienengüterwagen dagegen sind heute noch genauso laut wie vor Jahrzehnten.

Damit aber war es mit dem verkehrspolitischen Glaubenssatz „Mehr Güter auf die Schiene“ vorbei. Der Güterzuglärm stieg so exorbitant an, dass die Menschen, die neben Bahnstrecken wohnen (müssen) und um ihre Gesundheit, ihre Lebensqualität, und ihr Eigentum und wirtschaftliche Grundlage z.B. im Tourismus fürchten, insbesondere in den letzten 10 Jahren immer lautstarker gegen ihre Entrechtung protestiert und Politiker aller Parteien gezwungen haben, nicht weiter weg zu schauen, sondern sich des Problems anzunehmen. Ein erster Erfolg gelang mit der teilweisen Abschaffung Beseitigung des Schienenbonus. Vereinsregister Nr.: VR-7012 – Amtsgericht Hannover Steuernummer: 25/206/39231 – Finanzamt Hannover-Nord.

Das ist allenfalls ein bescheidener Anfang und reicht nicht aus, das Lärmproblem der Güterbahn zu lösen. Dass der Lärm „die Achillesferse des Schienengüterverkehrs“ ist, hat sogar Bahnchef Rüdiger Grube konstatiert. Es muss daher endlich etwas getan werden, um den Stand einer deutlich leiseren Bahntechnik auf das deutsche Schienennetz zu bringen. Die Bundesvereinigung gegen Schienenlärm als Vertreter der Interessen der Bahnanlieger fordert daher die Bundesregierung und insbesondere Bundesverkehrsminister Dobrindt auf, den Worten der Koalitionsvereinbarung nun Taten folgen zu lassen. Um weiteren Erpressungsversuchen vorzubeugen und den Umrüstungsdruck auf die Waggonbesitzer zu erhöhen, muss nun unverzüglich mit den Arbeiten an einem Gesetz für ein Verbot der Grauguss-Bremsen ab 2020 ebenso begonnen werden wie an einem Gesetz zur Ermöglichung betrieblicher Beschränkungen, damit bei der zu erwartenden Verfehlung des Koalitionsziels von 50% Umrüstung bis 2016 unmittelbar solche Maßnahmen vom Eisenbahnbundesamt angeordnet werden können.

Die Schreckensszenarien der Bahnlobby, dass Betriebsbeschränkungen bis hin zu Nachtfahrverboten „katastrophale Folgen“ zeitigen würden, können mit Gelassenheit getragen werden, zeugen sie doch eher von einer realitätsfernen Fehlschätzung der Bedeutung des Eisenbahnsektors: Im Personenverkehr hat der Bahnverkehr nur einen Anteil von 8 Prozent des Gesamtverkehrsaufkommens, beim Güterverkehr sind es nur 17 Prozent. Die deutsche Volkswirtschaft geht nicht unter, wenn ein paar Züge in der Nacht nicht mit Höchstgeschwindigkeit durch die Orte dröhnen und die Anwohner aus dem Schlaf reißen. An jeder Autobahn oder Bundesstraße in Ortsnähe gibt es Geschwindigkeitsbeschränkungen zum Schutz der Nachtruhe. Bahnanlieger sind keine Menschen zweiter Klasse – auch sie haben einen gesetzlich verbrieften Anspruch auf Wohlbefinden und ungestörten Nachtschlaf.

Des Weiteren fordert die Bundesvereinigung gegen Schienenlärm eine degressiv gestaltete Subventionierung der Umrüstung auf LL-Bremsen, damit diejenigen Waggonhalter begünstigt werden, die zum Schutz der Anwohner frühzeitig umrüsten – und diejenigen, die bis 2020 in der Hoffnung warten, die „Politik“ dann zu einer Verlängerung der Nutzung der Graugussbremsen erpressen zu können, das Nachsehen haben. Die Bundesvereinigung gegen Schienenlärm tritt auch entschieden dafür ein, dass für die Umrüstung bzw. das Betriebsverbot von Graugussbremsen nach 2020 keinerlei Ausnahmen, auch nicht für Spezialwaggons, zugelassen werden, denn bereits durch nur einen lauten Waggon in einem Zug wird der Schlaf gestört.

Wie Prof. Dr.-Ing. Markus Hecht (TU Berlin) auf dem „VPI-Symposium“ erneut hervorhob, reicht die Umrüstung der Güterwagenbremsen alleine nicht aus; vielmehr muss begleitend für eine wirksame Lärmminderung eine dauerhaft glatte Schienenoberfläche gewährleistet werden. Die Bundesvereinigung gegen Schienenlärm fordert daher, dass in der derzeit verhandelten Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) zwischen Bund und DB Netze der Qualitätsbegriff so zu definieren ist, dass nur ein „leises“ Gleis auch das geforderte „qualitativ gute Gleis“ ist. Das sog. akustische Schleifen der Schienenoberfläche muss zum Regelfall im gesamten Netz der DB AG werden. Dazu ist der Schienenzustand mit einer Reihe von Monitorstationen ständig zu überwachen.

Wer soll das alles bezahlen?

Seit Jahrzehnten bezahlen die Anwohner die Untätigkeit des Bundesgesetzgebers und die Untätigkeit der Eisenbahnindustrie mit ihrer Gesundheit, den Wertverlusten ihrer Immobilien, dem dauerhaften Verlust an Lebensqualität bis hin zur Vertreibung aus angestammten Wohnquartieren. Auch die Kommunen bezahlen durch Attraktivitätsverlust und Einbußen ihrer Wirtschaftskraft, durch Wegzug finanziell stärkerer Bevölkerungsschichten und Bildung sozialer Brennpunkte. Wenn es gesellschaftlicher Konsens ist, den Verkehrsträger Eisenbahn trotz der inhärenten technischen Mängel und dem Fakt, dass die Eisenbahn das einzige Verkehrssystem ist, das nicht einmal seine Wegekosten finanzieren kann, zu fördern, dann muss auch die Finanzierung der externen Kosten eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein. Dafür nur die Minderheit der Schienenanwohner heranzuziehen, mag zwar für die „Politik“ bequem sein, ist aber ein Paradebeispiel für Alexander de Toqueville’s „Diktatur der Mehrheit“. Vereinsregister Nr.: VR-7012 – Amtsgericht Hannover Steuernummer: 25/206/39231 – Finanzamt Hannover-Nord.

In den kommenden Monaten wird es sich entscheiden, ob „die Politik“ abermals vor der Eisenbahnlobby und ihrer Rücksichtslosigkeit einknickt oder sich endlich zu ihrer Verantwortung gegenüber den Menschen neben den Gleisen bekennt. Eines aber ist gewiss: die Bundesvereinigung gegen Schienenlärm mit ihren über 100 Mitgliedsbürgerinitiativen wird dazu nicht schweigen.

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2 Gedanken zu „Viele Worte, aber keine Taten: wie die Eisenbahnlobby den Rückwärtsgang in Sachen Bahnlärmminderung einlegt

  1. DANKE BOZ für diese Veröffentlichung aus unserem Netzwerk!
    Normalerweise gehört das zur Pflichtlektüre eines jeden Mitarbeiters und Funktionärs, der sich mit dem Bahnausbau beschäftigt!

    Für eilige Leser empfehlen wir ganz besonders die Seiten 19-27 der o.g. VDI-Symposium über das weitere Vorgehen:
    https://www.vpihamburg.de/file_downloads/1124

    Danach wird hoffentlich niemand mehr von 3m-Mauern träumen.
    Selbst im Wahlkampf sollten die Kandidaten bei der harten Realität bleiben!

  2. Das ganze zeigt einmal mehr, dass wir als Stadt (Bürger, Stadtverwaltung und Stadtrat) viel stärker gegenüber der Bahn auftreten müssen. Wir dürfen uns von den Beschwichtigungen der Bahn nicht einlullen lassen. Auch unabhängige Planer und Gutachter sollten wir dazu holen.

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