Augen zu und durch? Das achtjährige Gymnasium und die Folgen

Das achtjährige Gymnasium ist alles andere als ein Erfolgsmodell. Ein Ende der Debatte um das Für und Wider ist nicht in Sicht. Diejenigen, die sich dafür stark machten und vorschnell dessen Einführung betrieben, stehen immer mehr unter Rechtfertigungszwang. Und die Tendenzen zur Rückkehr sind unübersehbar: Baden-Württemberg und Nordrhein Westfalen z.B. haben wieder Modellzüge des G9 eingeführt, mit einem Zulauf an Schülern, der doppelt so hoch ist als erwartet.

Es liegt keineswegs in der Absicht des Autors, alles schlecht zu reden, was in den letzten Jahren unter dem Etikett G8 auf die Schulen zukam. Was Förderungsmaßnahmen, den Erwerb von Grundfertigkeiten oder die Anwendung neuer Methoden anbelangt, gibt es partiell auch Gutes zu vermelden. Vollkommen ins Hintertreffen gerät jedoch immer mehr die Art von Bildung, die unter emanzipatorischem Vorzeichen stets als wichtiger Teil der Persönlichkeitsbildung gegolten hatte. Unter dem Diktat der knappen Zeit verkommt nicht nur die gymnasiale Oberstufe zu einem reinen Paukbetrieb, durch die beiderseitige Verkopplung mit Sekundarstufe und Hochschule nimmt das Bildungswesen insgesamt Schaden.

Der Autor weiß, wovon er spricht. Er hat in beiden gymnasialen Schulformen unterrichtet, die Einführung des G8 als Fachbetreuer für Englisch und Geschichte intensiv begleitet und war noch kurz vor seiner Pensionierung am Ende des Schuljahres 2010/2011 im Doppelabitur im neunjährigen und im achtjährigen Gymnasium als Kursleiter und Prüfer eingesetzt. Man kann sich natürlich fragen, inwieweit die Beschränkung auf den Erfahrungshorizont einer oder nur weniger Schulen bzw. der selbst unterrichteten Fächer dazu berechtigt, allgemeine Aussagen von der oben angedeuteten Tragweite zu treffen. Aber genau im exemplarischen Blickwinkel liegt eine der entscheidenden Stärken des Buches. Was immer offizielle Verlautbarungen sagen mögen, es gibt auch so etwas wie die Authentizität der subjektiven, persönlichen Erfahrung. Die Dinge, die man mit eigenen Augen und Sinnen wahrnimmt und die Kollegen, Eltern und Schüler vielfach bestätigen, so ganz neben der Wirklichkeit können sie nicht liegen. In einem überschaubaren Zusammenhang lässt sich unter Umständen leichter auseinanderhalten, was in den letzten Jahren von außen, also durch das soziale Umfeld oder die Veränderung der Gesellschafts- und Familienstruktur an Erschwernissen hinzukam, oder was im Zuge einer im Grundansatz verfehlten und in der Ausführung kopflosen Reform in die Schulen hineingetragen wurde.

Ob es nun im ersten Teil um die Analyse der Versagensursachen des Modells G8 geht, im zweiten Teil um die Frage eines zeitgemäßen Verständnisses von Bildung oder im dritten um die Möglichkeiten und Perspektiven eines Auswegs aus der Misere: Stets ist es der genaue, an der Wirklichkeit geschulte Blick des Autors, der seinen Argumenten Überzeugungskraft verleiht. Vergleichstests, empirische Untersuchungen und Statistiken haben bestimmt ihre Berechtigung. Lebensnähe können sie jedoch nicht immer ersetzen. Und schon gar nicht, wenn dieser Erfahrungsschatz in einer sprachlichen Form vermittelt wird, die auch bei Lesern Freude und das Interesse weckt, die keinen unmittelbaren Zugang zur Materie haben.

Rupert Appeltshauser:
Augen zu und durch? Das achtjährige Gymnasium und die Folgen – eine persönliche Bilanz.
144 S., 7 Abb., 14,5 x 21 cm, Broschur, ISBN: 978-3-940821-26-3, Erich Weiß Verlag, Preis: € 9,-

Ein Gedanke zu „Augen zu und durch? Das achtjährige Gymnasium und die Folgen

  1. Für unsere Kinder ist das achtjährige Gymnasium richtig blöd. Wir Erwachsenen erinnern uns doch selbst mit Grausen an Nachmittagsunterricht, den wir früher hatten. Aber erst in der Oberstufe. Unsere Kinder werden zu Nachmittagsunterricht gezwungen und zwar ab der sechsten Klasse. Kaum ein Kind schafft es noch, Sport zu machen und auch noch ein Instrument zu lernen. Dabei ist doch beides so wichtig.
    Vielen Dank für den Hinweis auf dieses Buch, ich werde es gerne lesen. Ich habe so meine eigenen Erfahrungen mit G8 gemacht und damit, wie die Politiker und auch die Schulleiter das schönreden. Ich finde es eine Quälerei. Mal sehen was das Buch dazu sagt, ich werde es bestimmt lesen.

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