Ted Kooser sucht sich eine Wunschleserin. Die aber, so schön sie auch ist, will lieber ihren Regenmantel reinigen lassen als ihr knappes Geld für einen Gedichtband zu opfern.

Wunschleserin

Als erstes sollte sie hübsch sein,
und dann müßte sie sich vorsichtig meiner Lyrik nähern
am verlassensten Augen-Blick eines Nachmittags,
das Haar noch feucht im Nacken
vom Waschen. Tragen sollte sie bitte
einen Regenmantel, ein alten. Schmutzig,
denn Geld für die Reinigung ist nicht ausreichend da.
Dann wird sie ihre Brille zücken, und dort
im Buchladen wird sie blättern
in meinen Gedichten, dann aber den Band zurück-
stellen ins Regal und zu sich selbst sagen:
„Für so viel Kohle kann ich mir
meinen Mantel reinigen lassen.“ Und das wird sie auch.

Ted Kooser

Von Chrysostomos

Mit Gedichten, auch guten, ist das so eine Sache. Leben mit ihnen läßt sich gut, von ihnen leben aber können die allerwenigsten. Darum gärtnerte Rainer Brambach für die Stadt Basel, daher praktizierte, wie viele andere Dichter, sogar ein Gottfried Benn, deshalb führt Michael Krüger einen Verlag, übersetzt, schreibt Vorworte und Nachrufe, gibt heraus. Wer in den Vereinigten Staaten dichten will, der studiert Kreatives Schreiben in einer der vielen an fast jeder Universität angesiedelten Verseschmied-und-Prosawerkstätten, deren älteste und nach wie vor bekannteste der Iowa Writers‘ Workshop an der University of Iowa im Mittleren Westen ist. Und wer vom Schreiben, hat er erst einmal seinen Master of Fine Arts in der Sakkotasche, späterhin auch leben möchte, der unterrichtet dann sehr häufig selbst Creative Writing.

Aus Iowa gebürtig (1939) ist Ted Kooser. Doch statt Kreatives Schreiben zu studieren, widmete er sich, jedenfalls zunächst, den Wirtschaftswissenschaften. Wie Wallace Stevens war Kooser lange Jahre Vizepräsident eines Versicherungsunternehmens, der Lincoln Benefit Life. Als Gastprofessor im Englischen Seminar der University of Nebraska in Lincoln ist Kooser aber der akademischen Welt verbunden. Von 2004 bis 2006 war er Poet Laureate an der Kongreßbibliothek in Washington D.C.

Für sein Buch Delights and Shadows („Vergnügungen und Schatten“) wurde ihm 2005 der Pulitzer Preis zugesprochen. Neben Lyrik schreibt Kooser einnehmende Essays, kleine Betrachtungen, und stellt Woche für Woche in der Kolumne „American Life in Poetry“ ein Gedicht (kostenfrei, im Netz und in Zeitungen) vor. Damit will Kooser „a vigorous presence for poetry in our culture“ schaffen, möchte also der Lyrik zu einer starken Präsenz innerhalb unserer Kultur verhelfen. Was ihm – die ausgewählten Gedichte sind so zugänglich wie erhellend – durchaus gelingt.

Kooser lebt, gemeinsam mit seiner Frau Kathleen und ihren beiden Hunden Alice und Howard auf dem Land, in der Nähe von Garland, einer 200-Seelen-Gemeinde, die im 19. Jahrhundert noch, wegen der Herkunft der Siedler, Germantown hieß. Das ländliche Leben dort beschreibt Kooser ganz wunderbar in dem schmalen Band Local Wonders. Seasons in the Bohemian Alps („Wunder vor Ort. Zeiten in den Böhmischen Alpen“). Dem Schlichten, dem Einfachen, dem Ländlichen, dem Alltäglichen gilt Koosers Augenmerk häufig auch in seinen Gedichten.

Diese einsamen Momente am Nachmittag, in einer ziemlich verlassenen Gegend, sie kann man sich gut vorstellen. Immerhin, es scheint noch einen Waschsalon zu geben, oder eine Reinigung, auch wenn das Geld dafür bisweilen knapp ist. Es reicht ja nichtmals für einen Föhn, denn das Haar hängt noch feucht im Nacken. Und so geht sie dann, Koosers „Wunschleserin“, behutsamen Schrittes in die Buchhandlung, denn diese konnte sich noch halten und: sie führt sogar Lyrik. In Gedichten, so denken wir uns, sucht die Schöne Trost zu finden, einen Halt, vielleicht einen Rat, einen Hinweis, wie das Leben denn zu meistern wäre. Vielleicht, indem man, so denken wir uns weiter, schweren Herzens und mit einem leisen, aber langen, Seufzer diesen Kooser doch wieder zurückstellt ins Regal und für das somit gesparte Geld endlich den Regenmantel in die Reinigung bringt. Schließlich hat Ted, der Dichter, den man, anders als sonst, sofort beim Vornamen nennen möchte, sich das ja selbst so gewünscht: „And she will.“ Hier nun noch das Original –

Selecting a Reader

First, I would have her be beautiful,
and walking carefully up on my poetry
at the loneliest moment of an afternoon,
her hair still damp at the neck
from washing it. She should be wearing
a raincoat, an old one, dirty
from not having money enough for the cleaners.
She will take out her glasses, and there
in the bookstore, she will thumb
over my poems, then put the book back
up on its shelf. She will say to herself,
“For that kind of money, I can get
my raincoat cleaned.” And she will.

NB: „Selecting a Reader“ findet sich in Sure Signs, einem Band neuer und ausgewählter Gedichte, der 1980 bei der University of Pittsburgh Press herausgekommen ist. „Lange bewundert und gelobt von Dichterkollegen“, schreibt der Universitätsverlag dazu, sei Kooser auch jenem Leser zugänglich, der nicht vertraut mit zeitgenössischer Lyrik ist. Das stimmt. Über das ZVAB, das Zentrale Verzeichnis Antiquarischer Bücher, kann man einiges von Kooser, auch die Local Wonders, bestellen. Oder es bleiben lassen und dafür den Regenmantel endlich …