Dr. Dorothea Greiner, Regionalbischöfin
Liebe Gemeinde
Hören wir zunächst den biblischen Text aus Johannes 3, Verse 31-36. Dieses Bibelwort handelt nicht von Bethlehem, vom Stall oder den Hirten, von Maria und dem Kind. Hat der Predigttext eine Weihnachtsbotschaft? Johannes der Täufer spricht da und er redet über Jesus. Hören wir, was Johannes der Täufer sagt:
31. Der von oben her kommt, ist über allen. Wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde. Der vom Himmel kommt, ist über allen.
32. und bezeugt, was er gesehen und gehört hat; und sein Zeugnis nimmt niemand an.
33. Wer es aber annimmt, der besiegelt, dass Gott wahrhaftig ist.
34. Denn der, den Gott gesandt hat, redet Gottes Worte; denn Gott gibt den Geist ohne Maß.
35. Der Vater hat den Sohn lieb und hat ihm alles in seine Hand gegeben.
36. Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben. Wer aber dem Sohn nicht gehorsam ist, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm.
Liebe Gemeinde
Die Weihnachtsgeschichte im Lukasevangelium erzählt, dass Engel den Hirten die Weihnachtsbotschaft bringen. Die Hirten glauben den Engeln und gehen zum Stall. Sie kehren um in ihr Leben und das Leben ist doch verändert durch das Kind.
Unser Predigtwort dagegen benennt das Gegenteil: Der inzwischen erwachsen gewordene Jesus redet und bezeugt, was er von seinem Vater Himmel gehört hat – aber „sein Zeugnis nimmt niemand an“. Statt Glaube – Unglaube.
Die Engel der lukanischen Weihnachtsgeschichte verkünden große Freude: „Euch ist heute der Heiland ist geboren.“ Und „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden, bei den Menschen seines Wohlgefallens.“
Unser Predigtwort schließt mit dem Hinweis auf die, die Gott nicht wohlgefallen: „Wer aber dem Sohn nicht gehorsam ist, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm.“ Statt Friede – Zorn Gottes. Harte Worte in unserem Bibelwort, das auf den ersten Blick nicht weihnachtlich anmutet.
Es steht im Johannesevangelium. Das Johannesevangelium beginnt auch nicht mit einer Weihnachtsgeschichte, sondern mit dem sogenannten Johannesprolog: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort.“ „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit.“ Und auch da schon im Johannesprolog heißt es: „Das Licht scheint in der Finsternis. Doch die Finsternis hat´s nicht begriffen.“ Und: „Er kam in sein Eigentum und die Seinen nahmen ihn nicht auf“.
Das ist ein Grundthema im Johannesevangelium, dass Menschen nicht glauben, nicht dem Sohn gehorsam sind, obwohl er doch das Licht ist, das allen leuchtet.
Und dieses Grundthema findet sich auch in unserem Bibelwort. Und wie im Johannesprolog thematisiert es beides zum einen den Unglauben und den Zorn Gottes aber auch zum anderen, dass es Menschen gibt, die Jesus Glauben schenken. Indem sie Jesus glauben, schenken sie auch dem Vater im Himmel Glauben, weil Jesus nur wiedergibt, was er vom Vater selbst erfahren hat.
Es gibt offensichtlich beides in der Welt: Glauben und Unglauben. Es gibt Menschen, die auf Jesus hören und Menschen, die ihm – wie unser Text sagt – „nicht gehorsam sind“.
Ja, das können wir nachvollziehen. So ist das in unserer Welt, es gibt Menschen, die hören und folgen Jesus und es gibt Menschen, die tun das Gegenteil von dem, was er will. Und über die sagt unser Text: Die trifft der Zorn Gottes; die werden das ewige Leben nicht sehen.
Vielleicht ist das mal gar nicht schlecht solch ein Bibelwort an Weihnachten zu hören, weil unsere Welt an Weihnachten kein Deut besser ist als sonst auch. Trotzdem wirklich hören wollen wir solche Worte vom Unglauben und vom Zorn Gottes eigentlich nicht.
Vergangenen Dienstag in der Sendung „Stationen“ im Bayerischen Fernsehen kam ein Beitrag, dessen Worte ich eigentlich auch lieber nicht gehört hätte. Er handelte von Zwangsprostitution in Rumänien und Deutschland.
Der Filmbeitrag begann mit folgenden Worten: „Temeschvar. Hinter den Fassaden dieser rumänischen Stadt – nur wenige Kilometer von der Grenze nach Serbien und Ungarn entfernt – werden täglich minderjährige Mädchen missbraucht, gefügig gemacht, zum Sex gezwungen und achtlos verschachert.
Das schwere Erbe des Kommunismus und der Ceausescu-Zeit ist ein verrottetes Wertesystem, Moral und Anstand sind auf der Strecke geblieben. Die Zuhälter und Menschenhändler sind Teil einer Gesellschaft, in der der Einzelne nicht viel zählt.“ Zitatende.
Zwischendurch mag man sich denken, das ist in Rumänien und nicht bei uns. Doch der Film endet mit den Worten:
„Dabei ist der Menschenhandel ein Verbrechen, das mitten unter uns geschieht… Der Wunsch deutscher Männer nach ständig frischer Ware sowie eine laxe Gesetzgebung bedeuten unerträgliches Leid.“
Das geschieht auch am Weihnachtsfest. Das hört nicht auf, während wir O, Du fröhliche singen. Menschen verursachen unseliges Leid auch in der seligen Zeit. Unser Predigtwort drückt diese Wirklichkeit nicht beiseite. Es redet von Menschen, die nicht glauben und nicht Gottes Willen tun. Und es redet darum nicht nur von der Liebe Gottes, sondern auch vom Zorn Gottes.
Meine Pfarrergeneration und eigentlich auch ich, wir haben uns abgewöhnt über den Zorn Gottes zu predigen, weil wir Angst haben, Menschen Angst vor Gott zu machen. Ziel unseres Predigens muss ja auch wachsendes Vertrauen auf Gott sein und nicht die Angst. Darum lassen wir bei Predigttexten solche Verse auch oft beiseite.
Aber müssten wir nicht mehr Angst haben, vor einem Gott, den das kalt lässt, der nicht zornig wird um der 12-jährigen Mädchen willen, die da physisch und psychisch, moralisch und menschlich zerstört werden? 20.000 € kostet ein Baby, das man kaufen kann um es zu missbrauchen und anschließend zu töten.
Wir können doch nur dankbar sein, dass da einer zornig wird. Einer, der nicht aufgibt vor dem Netz der Bosartigkeit, das so dicht ist und so gut funktioniert, dass ein Menschenhändler mehr verdient als ein Drogenhändler. Es ist ein Netz in dem sich viele ganz verschiedene Menschen verfangen und an dem auch die knüpfen, die ins Bordell gehen und diese Maschinerie am Laufen halten.
Ja, ich bin Gott dankbar, dass er zornig ist vom Himmel sieht in all die Welten, in die wir nicht hinein sehen und auch nicht wirklich hineinsehen wollen. Er tut es und er ist zornig, weil die Täter so handeln und Opfer so leiden. Und wie reagiert er? Er schickt ein Kind, seinen Sohn, in die Welt, die damals nicht besser war als heute. „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. „Welt ging verloren, Christ ist geboren“. Diese Strophe von „O, du fröhliche“ bringt es auf den Punkt, was an Weihnachten geschieht. Weihnachten ging von Anfang an nicht von einer heilen Welt aus. Aber Weihnachten kämpft um Heilung dieser Welt und das Heil der Menschen. Gott kämpft um Opfer und Täter.
Er kämpft um die Opfer auch durch Organisationen wie Karo und Jadwiga und Leiterinnen in solchen Frauenhäusern, die übrigens häufig bewusste Christinnen sind, wie ich erfahren habe. Es braucht schon Gottes Geist „ohne Maß“ – wie es in unserem Bibelwort heißt, der die Furcht nimmt.
Ebenfalls vor Weihnachten erhielt ich einen Brief von eben jener Hilfsorganisation Karo. Er beginnt mit dem Satz eines Opfers: „Ihr habt mir eine neues Leben geschenkt, es tut gut, euch an meiner Seite zu wissen, so beschreibt Annika (Name verändert) ihr neues Leben.“ Zitatende. Die unmögliche Möglichkeit geschieht doch, dass Menschen gerettet werden.
In unserem Predigtwort spricht, wie anfangs gesagt, Johannes der Täufer. Er war ein Bußprediger, wie Jesus auch. Allerdings nennt ihn Jesus den größten unter den Propheten und den Kleinsten im Himmelreich. Warum? Ich meine, weil bei Johannes dies noch zu wenig durchscheint, dass Gott aus Liebe zürnt. Johannes ist noch ein Prophet alter Prägung. Doch seit Jesu Geburt, seit Kreuz und Auferstehung und der dann einsetzenden Verkündigung des Evangeliums glauben wir: Der Zorn Gottes ist nicht Gottes leitender Antrieb, sondern die Liebe; und Ziel seines Handelns ist nicht das Gericht und die Verdammung des Ungehorsamen, sondern dass der Ungehorsame umkehrt und alle, die an ihn glauben das ewige Leben haben.
Freilich kämpft Gott auch um die Täter. Ich meine, dass die Größe der Liebe Gottes für uns fast unerträglicher ist als sein Zorn, weil seine Liebe sogar solchen schrecklichen, brutalen Tätern gilt. Seine Liebe gibt keinen Menschen auf, so lange dieser Mensch noch atmet. So lange ruft und redet Gott in Jesus Christus, bezeugt auch dem Täter seine Liebe, die ihn zur Umkehr leiten will.
In unserem Bibelwort ist ein merkwürdiger, völlig unlogischer Bruch. Da heißt es: „und sein Zeugnis nimmt niemand an“. Und dann aber: „Wer es aber annimmt, der besiegelt, dass Gott wahrhaftig ist.“
Ich glaube, dass der Evangelist Johannes verzweifelt war über die Verlorenheit dieser Welt, den Unglauben, dass niemand auf Jesus zu hören scheint. Und zugleich erlebte er die unmögliche Möglichkeit, dass Menschen von Jesus hören, zu glauben beginnen, ihr Leben ändern und Jesus gehorsam werden.
Es gibt auch in unseren Tagen sehr bewegende Geschichten, vor einigen wenigen Schwerstverbrechern, bei denen im Knast genau dies geschieht.
Dass so etwas geschieht, ist dem Gott zu verdanken, der zürnt und liebt, der „Nein“ sagt und „kehr um“, weil er diesen Sünder von Herzen annimmt, – den Täter, nicht seine Tat. Gott sucht den Verlorenen, egal welche Form des Verlorenseins es auch ist.
Es ist gar nicht gut, dass Weihnachten so romantisiert wurde mit einem überhöhten „trauten hochheiligen Paar“ mit holdem Knaben im lockigen Jahr. An Weihnachten hat die Telefonseelsorge Hochkonjunktur. Die Selbstmordrate steigt. Eine Familienanwältin sagte mir vergangene Woche: Nie hat sie so viel Anrufe von Menschen, die sich scheiden lassen wollen, wie nach den Sommerferien oder eben nach Weihnachten. Zu Hause ist eben keine heilige Familie, sondern die ganz normale.
Doch auch Lukas erzählt: Maria gebar ein Kind, dessen Vater nicht Josef war, das Ganze geschah im Stall und kurz vor der Flucht nach Ägypten, weil Herodes das Kind töten wollte, skrupellos zum eigenen Machterhalt. Schon in unserer biblischen Weihnachtsgeschichte prallen Armut und Gottes Erbarmen, Unheil und Heilendes, Gefährdung durch Menschen und Errettung durch Gott aufeinander.
Doch diese Geschichte trägt eine unglaublich Hoffnung in sich, dass dieses Kind die Welt wandelt, weil es Verlorene suchen wird, unermüdlich, bis sie gefunden sind. Erinnern Sie sie sich an das Gleichnis: Jedes einzelne Schaf ist ihm wichtig. Und wenn er es gefunden hat trägt er es heim mit Freuden. Denn das ist sein Ziel Verlorene zu finden, Schuldigen zu vergeben, neues, ewiges Leben zu schenken, das hier beginnt und im Tod nicht endet.
Wie es viele Schattierungen des Verlorenseins gibt, so auch viele Schattierungen der Rettung und Heilung und Versöhnung durch den Glauben an Christus und durch Menschen, die mitten in dieser Welt an ihn glauben, so wie die Hirten, die das Kind sahen und denen der Gesang der Engel nie mehr aus dem Kopf gegangen sein wird: „Und Friede den Menschen seines Wohlgefallens.
Jesus ist die eigentlich Hoffnungsquelle dieser Welt, für Verlorene und er ist die Kraftquelle für Menschen, die ihm gehorsam sind und mit ihm Verlorene suchen.
Welt ging verloren. Christ ist geboren. Darum „Freue, freue Dich oh Christenheit“.