Redaktion
Der 4-gleisige Bahnausbau erregt die Bürger und mutet den Engagierten zu, sich einzuarbeiten in Expertenwissen: In Wissen um Umgebungslärmkarten, Lärmmonitoring, Mittelungspegel, Rollgeräusche, Schallschutz, gesundheitliche Folgen von Lärm, Tunnellösungen, Ostumfahrung, Lösungen andernorts.
Der VCD macht sich regelmäßig die Mühe, dieses Expertenwissen zu verinnerlichen, es auf Bamberg hin zu prüfen. Unten lesen Sie das Stadtement des VCD zum Experten-Hearing vom 5. Oktober. Auch die Bahnsinn-Gruppe ist eingetaucht in ein Feld, dessen Beackerung sie sich wohl nie hätte vorstellen können. Ihr ist es zu verdanken, dass die tatsächlichen Experten und Entscheider um die bestmögliche Lösung – nicht nur für Bamberg – nachdenken müssen. Und nicht zwangsläufig die kostengünstigste preferieren.
Am kommenden Dienstag bietet sich nun die Gelegenheit mit einem Experten und Entscheider zusammenzutreffen: mit dem Vorsitzenden des Verkehrsausschusses, Dr. Toni Hofreiter (Die Grünen). Ab 19 Uhr im Heinrichsaal.
Verkehrsclub Deutschland
Ein paar Nachgedanken zum Lärmschutz-Hearing am 5. Oktober
Ja – wenn man den Welterbetitel für irgendwas ausnutzen kann, dann werden die Bamberger Polit-Akteure ganz heiß. Und wenn man auch gleich noch über die Bahn schimpfen kann, dann ist die Lufthoheit über den Stammtischen schon zum Greifen nah. Also nichts wie aufspringen auf diesen fahrenden Zug …
Die von den Planern der DB anfangs angedrohten hohen Mauern sind vom Tisch. 6 m, 7 m, 8 m – mit jeder Organisation, die sich in den Aufschrei einreihte, wurden die Mauern höher. Offen sind aber nach wie vor Fragen wie: Sind Lärmschutz und Stadtbild unter einen Hut zu bringen? Gibt es stadt-, menschen- und umweltverträgliche Alternativtrassen? Wer überraschende Antworten erwartet hat, war bei diesem Hearing am falschen Ort. Es ging nicht um die Forschungsfront, sondern um die Lärmproblematik, wie wir sie heute haben, und um die technischen Mittel, die für das Bamberger Verfahren zur Verfügung stehen.
Herz & Kreislauf
Warum man einen Flugverkehrsexperten zur Darstellung der gesundheitlichen Wirkungen von Schienenverkehr eingeladen hat? Die Epidemiologen, so konnte uns Eberhard Greiser jedenfalls versichern, geben mittlerweile über die Wirkungen von Lärm allgemein weitgehend übereinstimmende Auskunft. Das Risiko für Schädigungen von Herz und Kreislauf steigt deutlich, und die Chancen auf Herzschwäche, koronare Herzkrankheit, Herzinfarkt und Schlaganfall werden sichtlich größer. E. Greiser rät Bamberg deshalb zu einer „exakten Ermittlung der potentiellen Lärmbelastung“.
Mittelungspegel
Eine spezifischere Antwort wollte Manfred Spreng geben. Seine These: Der Schienenlärm ist viel schädlicher als Straßen- oder Fluglärm. Die Grafiken, auf die er zurückgreift, sind knapp 20 Jahre alt. Sollte man nicht auch in diesem Feld wenigstens ein Auge auf die technische Entwicklung werfen? M. Spreng gab auch keine Auskunft, von welcher Art die Versuchsanordnungen waren, die zu diesen Grafiken geführt haben, und ob diese Versuchsanordnungen überhaupt zu unserer Frage passen. Gerade beim Schallempfinden könne man die Ergebnisse der psychologischen Untersuchungen unter den Tisch fallen lassen? Das ist eine steile Entscheidung. Also hing der Vergleich der verschiedenen Verkehrsarten in der Luft.
Die grundlegenden Ausführungen zur physischen Wirkung von Lärm dagegen stützen die massive Kritik an einem der zentralen Punkte der deutschen Gesetzgebung. Die gängigen Regelungen zum Lärmschutz stellen alle auf den Mittelungspegel ab. M. Spreng fasst die Analysen der Schall-Gehör-Gehirn-Connection so zusammen: „Zur wirkungsgerechten Beschreibung von Lärmwirkungen ist der Mittelungspegel nicht geeignet“. Das bleibt für uns die Crux. Denn im Lauf des Bamberger Verfahrens werden wir an den Mittelungspegel gebunden sein. Nicht weil die Bahn uns ärgern will, sondern weil die Gesetze, an die die Bahn sich halten muss, durchgängig auf den Mittelungspegel hin formuliert sind.
Schallschutz mit Hirn
Mit Eberhard Hohnecker ging es in die Welt der technischen Möglichkeiten. Die von ihm entwickelten Mini-Schallschutzwände setzen geschickt physikalische Zusammenhänge ein. Gewölbte Innenflächen mit Brennpunkteigenschaft zum Beispiel lassen Gegenschall-Effekte nutzen. Sie nehmen, bei weniger als 40 cm Höhe, 5 dB weg. Oder Schall-Absorber und Lärm-Diffusor 2 bis 3 dB und 5 dB. Dass die 5 m-Betonwand ein Relikt eben aus der Steinzeit ist, zeigen raffinierte Kunstgriffe, die die Lärmspitze um einige Hundert Hertz nach unten bringen. So wird der Lärm zwar nicht weggenommen, aber aus dem Bereich unserer erhöhten physiologischen Empfänglichkeit (zwischen 1 und 4 kHz) heraus geschoben. Als richtungweisende Botschaft gab uns E. Hohnecker mit: „Es gibt nicht die eine Technik, die alle Probleme löst. Immer geht es um die Kombination verschiedener Techniken, und die Frage der Planung ist: Was ist zweckmäßig für welchen Bereich?“
Umfahrung Freiburg
Gibt es eine Trasse um Bamberg herum, die den Bambergern den Lärm erspart? Die Antwort auf diese Frage ist einfach. Sie wirft aber eine schwierige andere Frage auf: Welche Schäden richtet eine solche Umfahrung ihrerseits an? Eine Trasse „entlang der Autobahn“ war frühzeitig erörtert und frühzeitig verworfen worden, sowohl in der ICE-Fassung als auch in der Güterzug-Fassung. Schon ein Blick auf die Landkarte zeigt, welch grobe ökologische Schäden sie anrichtet („Flächenfraß“). Also hatte man sich von Karlheinz Rößler wenigstens einige grundsätzliche Hinweise erwartet, wie welche Negativpunkte abzuwägen sind. Doch nichts davon kam in den Blick. Warum die Umfahrung von Freiburg ein Vorbild für Bamberg sein soll, blieb unbeantwortet. Die große Geste „von Ebensfeld bis Altendorf durch die Landschaft“ war eine billige, nämlich bloße Aufforderung – zur großzügigen Indienstnahme abgreifbarer Investitionsmittel.
Ein Mann der Wirtschaft, dessen Unternehmen mit solchen Trassenplanungen sein Geld verdient, hätte unsere Bamberger Debatte mit einer fundierteren Bewerbung anreichern können. Diese Gelegenheit hat K. Rößler ausgelassen. Ob es mit der Freiburger Vorbildfunktion doch nicht so weit her ist? Und dass man die DB auf Dauer zu einer reinen Güterzugtrasse verpflichten kann, glauben sicher nicht einmal alle Freiburger.
Maßnahmen: An der Quelle!
Für einen breiten Überblick über Ist-Stand und technische Minderungsmöglichkeiten war Markus Hecht eingeladen, der Experte im Fachgebiet Schienenfahrzeuge schlechthin. Der Angelpunkt seiner Überlegungen heißt: „Maßnahmen am Ausbreitungsweg kosten zweieinhalb mal so viel wie Maßnahmen an der Quelle“. Die Schürze für Radgehäuse zum Beispiel ist eine vergleichsweise spottbillige Methode, die jede hohe Lärmschutzwand überflüssig macht. Denn der größte Teil des Lärms (in unserem Geschwindigkeitsbereich) ist das Rollgeräusch, und das entsteht am Rad.
In den für Bamberg anstehenden Verhandlungen rät M. Hecht zur Überprüfung der Umgebungslärmkarte und zu einem sorgfältigen Lärmmonitoring. Die Tunnellösung wie die Ostumfahrung lehnt er ab, denn „das Problem Bamberg ist krass, aber nicht einzigartig“. Diese Sicht hält sich nicht an die PR-Vorgaben der Stadt, sondern reicht über den Tellerrand hinaus. Statt nach Privilegien für Bamberg zu rufen, helfe es weiter, Bamberg als Leuchtturmprojekt für menschen-, umwelt- und stadtverträglichen Lärmschutz auf den Weg zu bringen.
Neue Techniken auf dem Prüfstand
Um sich nicht in Wolkenkuckucksheim zu verlaufen, tut man gut daran, die neueren Schallschutztechniken nicht nur zu beschwören, sondern auch die Prüfungsergebnisse zu studieren. Das Konjunkturpaket II war auch für die Erprobung innovativer Techniken genutzt worden. Ulrich Möhler erstattete einen sachlichen Bericht. Unterschottermatte und besohlte Schwelle zum Beispiel hatten auch für uns Hoffnungen geweckt – die Messungen landen nahe bei Null. Bei niedrigen Schallschutzwänden hängt die Wirkung stark von der Topographie ab, und sie sind nur für das Außengleis zugelassen worden. Das kann uns vielleicht trotzdem helfen – aber sicher nicht alles bringen. Es ist übrigens Sache des Eisenbahnbundesamtes, Techniken für die allgemeine oder die besondere Verwendung freizugeben. Wer wettert, dass das Amt Zulassungen nicht flotter ausspricht, hat die Verantwortung nicht kapiert, die in so einer Zulassung steckt. Selbstverständlich wollen wir eine sichere Bahn, und dafür soll sich das Amt die Zeit nehmen, die es braucht, um sorgfältig und verlässlich arbeiten zu können.
Lärmschutzwände werden wir in Bamberg brauchen, und in Breitengüßbach auch, und in Hirschaid, und in … Aber nicht in der Ausführung, die uns angedroht war. Sondern als hochabsorbierende Wände vielfältiger Ausführung (Gabionen, …) und vielfältiger Oberflächen (Pflanzenwand, …). Seltsamerweise hatte die LGS das Thema ganz und gar vergessen. Sie hätte gute Beispiele vorführen und innovative Vorschläge machen können. Sowohl von Norden als auch von Süden her kommen die Bahnreisenden durch Gärtnerland. Die Strecke dazwischen bietet eine neue Herausforderung für die Bamberger Gärtner. Eine „grüne Bahn“ wird für Bamberg eine einladende Visitenkarte sein. Und es wären wieder die Gärtner, die das Bild von der Stadt prägen.
Resümee
Ein erster wichtiger Schritt in der Auseinandersetzung um die neue Bahnanlage war, dass die Monsterwände vom Tisch sind. Ein zweiter Schritt war, dass mit denkmalgeschützten Gebäuden nun vorsichtiger umgegangen wird. Jetzt kommt der größte Brocken: den Werkzeugkasten des Schallschutzes durchzudeklinieren. Meter für Meter der 4 oder 5 km durch Bamberg sind daraufhin zu untersuchen, welche der wirksamsten Maßnahmen jeweils am verträglichsten sind. Ziel ist ein Paket von Kombinationen, mit denen wir Bamberger leben können, und unsere Umwelt, und unsere Stadt.
Das Gleiche gilt selbstverständlich für alle anderen Anwohner an jeder anderen Ortsdurchfahrt an unserer Strecke. Die Hallstadter haben die gleichen Probleme, die Strullendorfer auch, die Altendorfer, die … Sie können die gleichen Lösungsangebote erwarten.
Das Hearing hat geholfen, den Nebel über dem Bahnausbau etwas zu lichten. Als Einstiegsveranstaltung war es halbwegs zweckmäßig angelegt, hätte aber zum Beispiel die Dopplung für die gesundheitlichen Wirkungen des Lärms allgemein nicht gebraucht. Durch genauere Absprachen mit den Referenten im Vorfeld hätte die Aussagekraft insgesamt gewinnen können.
Gut jedenfalls, dass das Hearing stattgefunden hat.
Nach hartnäckigen Anstößen aus der Bürgerschaft.
Auch vom VCD.