Kritik am „Bolognaprozess“ nicht mehr zu unterdrücken

(cr)

Auf Druck der Wirtschaft einigten sich europäische Bildungspolitiker 1999 auf einen Reformprozess, der das europäische Hochschulsystem vereinheitlichen, einfacher, durchlässiger, transparenter und leistungsfähiger machen sollte. Soweit die hehren, öffentlich verkündeten Ziele. Dass es dabei vor allem darum gehen sollte, junge Leute auf schnellere und billigere Weise als bislang der beruflichen Verwertung zuzuführen, wurde weniger an die große Glocke gehängt. Heute wissen alle Beteiligten, dass man weder die hehren noch die ökonomischen Ziele erreicht, sondern sich an praktisch allen Fronten gründlich verrechnet hat. Wer den Bolognaprozess heute noch verteidigt, verschließt – aus welchen Gründen auch immer – seine Augen vor der Realität. Mit dem allmählichen Ausscheiden aus ihren Ämtern der seinerzeit politisch Verantwortlichen, denen es in den letzten Jahren natürlich schwer gefallen ist, ihre krassen Fehlspekulationen einzugestehen, wird es einer jüngeren Generation von Bildungspolitikern und Hochschulfunktionären zunehmend möglich, eine grundsätzliche Kehrtwendung zu fordern, die weit über das hinausgeht, was man in den letzten Jahren scheinheilig als „Reform der Reform“ bezeichnet hat.

Am 15. August 2002 trat jene Gesetzesnovelle in Kraft, die die Vereinbarungen der Bologna-Reform umsetzt. Zu diesem Anlass strahlte 3sat-Kulturzeit eine Bestandsaufnahme der Situation aus, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ.
Änlich der Monitor-Beitrag vom April.

Analog wächst derzeit die öffentliche Kritik auch an anderen Irrsinnstaten der Eurokraten wie dem Biosprit und der Energiesparlampe; vermutlich liegen auch hier die Gründe weniger an einem Erkenntniszuwachs als am Machtverlust der seinerzeit verantwortlichen Projektbetreiber.

Ein Gedanke zu „Kritik am „Bolognaprozess“ nicht mehr zu unterdrücken

  1. Der Irrtum von Bologna war, dass der Wettbewerb Alles zum Besten regeln könne und zugleich sich automatisch Qulitätsmaßstäbe durchsetzten.
    Früher war klar, was ein Diplom-Chemiker oder ein Diplom-Ingenieur (FH) Maschinenbau gelernt hatte, heute gibt es Dutzende ähnliche Studiengänge unterschiedlichster Inhalte, Breite und Tiefe (was freilich bei vielen Fächern der philosophischen Fakultät auch früher der Fall war, für den Bereich Naturwissenschaften, Ingenieurwesen oder medizinisch-psychologische Fächer aber ein gewaltiges Problem darstellt).
    Dieser undurchsichtige Wildwuchs ist ein logischer Ausfluss des Glaubens an Wettbewerb und Markt als selbstregulierende Systeme.

    Das Bildungssystem hat sich aber insgesamt auch bedenklich ökonomisiert, die Kurswahl in der Oberstufe des Gymnasiums wurde fast abgeschafft (kostengünstiger), das Gymnasium auf 8 Jahre verkürzt (spart Zeit und Geld), Studiengebühren und Kredite statt BAFöG-Darlehen ohne Verzinsung übertragen das Arbeitsmarkt-, respektive Konjunkturrisiko, auf den einzelnen Auszubildenden einschließlich des Risikos langjähriger hoher Verschuldung, zu Gunsten von Kreditinstituten, die ganz neue, ertragreiche Geschäftsfelder bekamen – nicht viel anders als die Riesterrente, die sich zunehmende als Geschenk an die Versicherungswirtschaft ohne Nutzen für die übrige Gesellschaft erweist.
    Auch im Gesundheitswesen oder bei der Bahn gab es parallele Entwicklungen.

    Es zeigt sich immer deutlicher, dass es nicht sinnvoll, ja schädlich, ist, die grundlegende Daseinsfürsorge und -organisation – und dazu gehört das Bildungssystem insgesamt (da auch Ärzte, Richter, Lehrer usw. an Universitäten ausgebildet werden) – einem nur schwach reguliertem Wettbewerb zu überlassen (Ähnliches gilt für öffentliche Verkehrsmittel, Krankenhäuser oder die Wasserversorgung).

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