Sandkerwa: Institution für politische Hygiene

So leicht lassen die Bamberger ihre Politikprominenz nicht davon kommen. Die Sandkerwa-Rebellen (BR) richten an, passieren und goutieren allerhand Großkopfertes, Aktuelles und Vergangenes. Ganz nach dem Motto: härder-bechern mit Müller-Milch und Müller-Thurgau.

härder bechern. Foto: Erich Weiß

Mäc Härder

Meine Damen und Herren, liebe Freunde und Freundinnen,

der Weg hat euch heute hierher geführt an den Neptunsbrunnen, den das gemeine Volk auch gerne als Goblmoo bezeichnet.

Das internationale Institut für politische Hygiene an der freien Universität Gereuth wurde vor 67 Jahren von uns beiden, nämlich Martin Becher und mir Mäc Härder gegründet, 1950, also quasi pränatal. Die Gründe für diese Gründung liegen im dunkeln, jedenfalls können wir uns beide nicht erinnern, Alkohol war ganz sicher nicht im Spiel, eher Muttermilch.

Das Institut widmete sich in all den Jahrzehnten vornehmlich wissenschaftlichen Forschungsarbeiten. Einige Veröffentlichungen wurden sogar literarische „Bestseller“ und sind leider momentan vergriffen. Erinnert sei hier nur an folgende Publikationen:

  • Der Brückenbau in Bamberg – wer ist der Pontifex Maximus in dieser Stadt?
  • Die Quelle des Lebens – der Röhrenbrunnen als Ausfluss und Missverständnis deutschen, spießbürgerlichen Lebens in der Moderne
  • Verwaiste Plätze, öde Orte – der Maxplatz als Widerspiegelung des benachbarten Rathauses
  • Bambados – wie Fliesenleger wirklich arbeiten: oder die Kunst der Fuge
  • Herkunft und Beschaffenheit von Amphibienfahrzeugen bei fränkischen Industriemagnaten.

In diesem Zusammenhang wird demnächst wohl eine weitere Veröffentlichung herauskommen, der vorläufige Arbeitstitel dazu lautet: „Gehören amphibische Wesen in den wissenschaftlichen Forschungsbereich der Transgenderproblematik?“

Sie sehen, wir waren und sind mit unserem Institut an den relevanten Themen unsrer Zeit und unsrer Stadt dran.

Hier noch einige Grußworte von Kollegen, die uns nicht zugegangen sind.

So äußerte der Bamberger Oberbürgermeister Andreas Starke:

„Die politische Neutralität erlaubt es mir nicht, bei dieser Veranstaltung dabei zu sein. Gerne hätte ich ein Fass auf der Sandkerwa angestochen. Das ist mir dieses Jahr nicht vergönnt, so werde ich in dieser Stadt andere Fässer aufmachen müssen. Aber mit dem Ami-Gelände und der Bahntrasse stehen mir ja jede Menge Möglichkeiten offen.“

Der 2. Bürgermeister Dr. Christian Lange bedauert es außerordentlich, dass er gegen seinen Stadtratskollegen Müller nichts sagen darf. Fügt aber in seinem nicht zugesandten Grußwort hinzu: „Ich als Altlateiner und Gräzist kann nur sagen: In vino veritas, in cerveza caritas.“

Für alle alllzu Blöden: Im Wein ist die Wahrheit, im Bier ist die Liebe.

Und der 3. Bürgermeister Wolfgang Metzner äußerte ebenfalls unverbindlich: „Na, halt der Müller. Wer weiß, wie der seinen Doktortitel gemacht hat? Das wäre in der oberfränkischen CSU ja kein Einzelfall.“

Danke an die Insider für die Zurverfügungstellung dieser Fake-News.

Nun, meine Damen Herren: Warum sind wir hier?
Das ist doch die Frage.
Wir sind als politische Demonstration angemeldet.
Das muss erfüllt werden.

Wir sind hier, weil heuer die Sandkerwa ausfällt und weil ein gewisser Herr Müller, seines Zeichens CSU-Fraktionsvorsitzender im Bamberger Stadtrat, jener Dr. Helmut Müller, der auch schon im Landtag saß, und als anerkannter Hinterbänkler, er redet ja nicht, und wenn er redet, ist es mehr ein Faseln, also selbst als Landtags-Hinterbänkler hat er von 1999 an noch eine erkleckliche Summe durch Scheinbeschäftigung bzw. durch die Altlastregelung zusätzlich verdient, deswegen ist er auch lange Marathon gelaufen, um vor den eigenen Fehlern und Missetaten davonzulaufen, also wir sind hier, weil jener Helmut Müller über die Besucher und Besucherinnen der Sandkerwa gesagt hat:Die Sandkerwa ist eine Belustigung für das Prekariat. Niedere Schichten kommen zusammen, um sich zu besaufen. Jaja, ein wahres Wort aus falschem Munde. Oder ein falsches Wort aus falschem Munde.

Denn wie sagte dagegen meine Mutter immer: „Dummheit frisst, Intelligenz säuft.“
Nun gut, man kann auf der Sandkerwa auch eine Bratwurst käuflich erwerben.

Warum hat er dieses Fremdwort „Prekariat“ benutzt?
Genau, um Menschen zu beeindrucken. Er wollte mit einem hinreichend unbekannten Fremdwort, nämlich Prekariat, die eigene Bildung beweisen, eine Art Wort-Leistungsschau.

Und das geht gut mit nahezu unbekannten Wörtern. Ich weiß das, ich habe das früher auch so gehandhabt. Mein Lieblingsfremdwort war als Jugendlicher „Dichotomie“, alle waren beeindruckt, aber ich war damals 17, Dr. Müller ist 77. Und da wirkt solche Angeberei reichlich albern.

Nun gut, er ist erst 73, aber geistig wirkt er erheblich älter.

Nun brüstet sich jener Helmut Müller mit einem neuen Spitznamen. Er nenne sich jetzt selber Prekariats-Müller. Von einer Ehrenbezeichnung gehe ich nicht aus, eher von einem Schimpfwort, das er ins Positive zu wenden versucht. Prekariats-Müller, wahrscheinlich in der verniedlichten Form des Preki-Müller. Wir hatten auch schon einen Katastrophen-Müller und Dr. Helmut Müller wäre der legitime Nachfolger, denn seitdem er im Bamberger Stadtrat hockt, seit 1984, hat die CSU bei jeder Kommunalwahl konsequenterweise einen Stadtratssitz verloren. Von daher eine Katastrophe, aber nur für die CSU.

Er hat sich ja selber eine Denkpause verordnet, super, so wie Kaffeepause, also eine Pause für einen Kaffee, aber es gibt eben auch die anderen Pausen: Spielpause beim Fußball, das ist die Pause ohne Spiel. Dann ist ne Denkpause eine Pause ohne zu denken.

Was war die Intention jenes Herrn, den man ohne weiteres als einen der größten Bamberger Strippenzieher bezeichnen könnte?

Wollte er auch seinen Senf zur Lage der Stadt geben?

Wir alle wissen es nicht und können lediglich Vermutungen anstellen.

Was wir sicher wissen, auch das Nichtprekariat säuft, auch die höheren Schichten trinken, denn wir alle wissen:

Kein Alkohol ist auch keine Lösung.“

Und so wie das Gehirn Herausforderungen braucht, so sollten sich auch andere menschliche Organe ihren Herausforderungen stellen, will sagen: „Die Leber wächst mit ihren Aufgaben.“

In meiner Einleitung möchte ich abschließend betonen: Herr Dr. Helmut Müller hat die niederen Schichten angegriffen, aber er hat dabei die trinkenden Akademiker vergessen.

Dem wollen wir heute mit unserer Veranstaltung Genüge tun.

Wir sind gegen Diskriminierung und gegen das Vergessen.

Auch trinkende Akademiker, ob an der Hochschule tätig oder sonstwo in der freien Wirtschaft aktiv, sie alle gehören zu unserer Gesellschaft.

Wir wollen niemanden ausgrenzen. Und darum sind wir hier.

Setzen wir alle ein Zeichen und rufen:

Ich bin ein trinkender Akademiker!“ … eine trinkende Akademikerin!

Jetzt alle auf 3. 1, 2, 3: …

Ja, für uns alle gilt: ein Leben ohne Sandkerwa ist möglich, aber sinnlos.

Keine Sandkerwa. Das Hadern und Lamentieren darüber in dieser Stadt ist groß. Für alle, die die Sandkerwa nicht kennen, die ist wie das Oktoberfest – nur mit gutem Bier. Und auf ner fränkischen Kerwa ist ja Bier das Grundnahrungsmittel.

Bier – das ist ja für einen Franken quasi flüssiger Sex.

Und ein Bierbauch – das ist die Solidarität des Mannes mit der Schwangerschaft der Frau. Nur dauert sie nicht 9 Monate, sondern 40 Jahre.

Und Bier und Alkohol – das schafft ja auch Arbeitsplätze in Gaststätten, Fußballstadien, Rehakliniken.

Den Großteil der deutschen Literatur – den gäbe es doch ohne Alkohol überhaupt nicht. Schauen wir nur unseren Dorfheiligen an, den guten alten E.T.A. Hoffmann. Er trank so ziemlich alles, was ihm in die Quere kam – „Ein Glas guter Rum des Morgens“ gehörte dazu und dann diverse Flaschen Wein über den Tag verteilt, für Hoffmann waren seine Räusche so etwas wie Reisen in die Seele, mit all ihren Abgründen.

Ich habe zu viel Wirklichkeit“, lautet seine Diagnose.

Und heutzutage: Die schönsten Werbespots – die werden doch mittlerweile für Bier und Bacardi gedreht. Sail away, Bacardi Feeling.

Die komplette deutsche Pissoirlyrik, die ist doch nur durch Alkohol zu erklären.

Diese berühmten Zweizeiler: „Trink Peter-Bier, dann steht er dir.“

Oder: „Tucher-Bier ist unerreicht – 3 getrunken, vier geseicht.“

Wer des net versteht, es gibt auch ne hochdeutsche Version: „Tucher ist ein Bier mit List – 3 getrunken, 4 gepisst.“

Selbst der ehemalige Kanzler Gerhard Schröder reihte sich ein: „Hol mä mol a Flasche Bier, sonst streik ich hier.“ Ja, kann sich das jemand beim Schröder mit Mineralwasser vorstellen? „Hol mä mol ä Überkinger, sonst zeig ich dir den Mittelfinger.“

Sehen Sie, es gibt ä deutsches Biermuseum, es gibt ne deutsche Weinstraße. Von einem Antialkoholikerweg hab ich noch nie was gehört.

Und Alkohol in Maßen – des fördert ja auch die Intelligenz. Ich z.B. wenn ich in Mathe oder Latein ne 1 nach Haus gebracht hab, ich hob von meim Vodder immer n Kasten Bier gekriegt … ich bin praktisch bis zum Abitur ohne Alkohol aufgewachsen.

Und so mitten im Bundestagswahlkampf: Ob man Parteien und Bierkästen vergleichen kann – ich glaube, man tut den Bierkästen unrecht. Na, da sind schon gewaltige Unterschiede: Mitglieder von Parteien zerstreiten sich, bei Biertrinkern kommt es oft zu spontaner Völkerverständigung.

Ich erinnere mich an die Abiturfahrt nach Prag, wo wir mittels zweier Kästen Bier den Tschechen den Widersinn des Kommunismus erklären konnten.

Außerdem: Bier ist feinfühliger: Bei Parteien geht’s immer um Prozente, bei Bier um Promille.

Nach Biergenuss wird gesungen. Und auch Bier und Sport passen zusammen. Bei Fränkischen Kerwas findet immer ein Triathlon statt. Jaaa? Hirenna, zommsaufn und mitm gstohlena Fohrrod hammfahrn.

Deshalb meine politische Forderung: Rettet die Sandkerwa, aber für alle, auch für das akademische Prekariat, nicht nur für die niederen Schichten, auch für die Bamberger. Wenn wir schon bei der Sandkerwa sind, warum muss die von Donnerstag bis Montag stattfinden? Klar, eine Kirchweih sollte den Sonntag umfassen, aber man könnte auch am Sonntag mit Frühschoppen und Kirche anfangen und die Kerwa selber ginge bis Donnerstag. Sie wäre genauso lang und man würde die Besucherströme entzerren.

Und für den Nachweis, dass der gebildete Mensch ebenso dem Rausche zugeneigt ist, hier noch ein paar göttliche Zitate:

George Bernhard Shaw sagte zum Beispiel: „Alkohol ist das Narkosemittel, mit dem wir die Operation Leben überstehen.“

Und W.C. Fields, ein begnadeter Säufer sein Leben lang: „Es ist ein Irrglaube, dass Alkohol und Vergnügen untrennbar zusammengehören. Ich kann auch Alkohol trinken, ohne mich zu amüsieren.“ Ich glaube, der Mann war Bamberger.

Ich danke Ihnen sehr herzlich und übergebe an den besorgten Bürger.

Martin Becher

Nach der im Dezember 2006 veröffentlichten Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung Gesellschaft im Reformprozess[14] gehören zum Prekariat die Untergruppen des abgehängten Prekariats, die autoritätsorientierten Geringqualifizierten sowie ein Teil der selbstgenügsamen Traditionalisten. Die Studie nennt für das abgehängte Prekariat die Zahl von 6,5 Millionen Deutschen (das entspricht acht Prozent der Gesamtbevölkerung).[14]

Als Reaktion darauf fordern wir, dass der Bamberger Stadtrat eineN PrekariatsbeauftragteN benennt. Uns liegt bereits eine Bewerbung aus der CSU-Fraktion vor. Weitere Bewerbungen bitte an unser Institut.

Zur Zone der Prekarität zählen die Autoren erstens prekäre Beschäftigung als eine temporäre Integration (die Hoffenden), zweitens als ein dauerhaftes Arrangement (die Realistischen) und drittens als eine entschärfte Möglichkeit (die Zufriedenen). Diese Unterteilung der Prekaritätszone erlaubt es, auch Erwerbstätige einzubeziehen, die zwar in keinem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen, gleichwohl in ihrer Existenz bedroht sein können.

Unser Institut hat in einer 67-jährigen Langzeitstudie einen weiteren Typus gefunden: die härder-bechernde Glückseligkeit.

Martin Becher und Mäc Härder. Foto: Erich Weiß

Mäc Härder. Foto: Erich Weiß

Martin Becher. Foto: Erich Weiß

Body and Soul & friends. Foto: Erich Weiß

Zeugnis mit Mäc Härder. Foto: Erich Weiß

Zeugnis mit Martin Becher. Foto: Erich Weiß

Zeugnis mit Christiane Hartleitner. Foto: Erich Weiß

Wunderdiplom mit Claudia. Foto: Erich Weiß

Akademischer Prekariatsnachwuchs. Foto: Erich Weiß

Mäc beschwört den Himmel. Foto: Erich Weiß

wundersame Schuhe. Foto: Erich Weiß

Die blauen Schuhe von Mäc Härder. Foto: Erich Weiß

Müller muss weg. Foto: Erich Weiß

2017 Sandkerwa der Herzen. Foto: Erich Weiß


„Prekarier aller Länder – vereinigt Euch! Ihr habt nichts zu verlieren außer Euren Krügen!“