Sie sind wieder da – Antanzen am Maxplatz

Eine Glosse von Kasch Snyder

Antanzen am Maxplatz. Foto: Erich Weiß

Entscheidet man sich fürs Wohnen in der Innenstadt / Fußgängerzone, weiß man meist  um die Vor- und Nachteile: weit ab die Abgase und verkehrslärmende Kraftfahrzeuge – vieles ist fußläufig erreichbar. Es kann laut, sehr laut werden, intensiv nach Fisch-, Bratwurst- und Pommesöl riechen und nach Mitternacht lärmen und krakeelen einige durch Alkohol ermutigte Bürger fröhlich durch die Innenstadt. Nie kann man ganz sicher sein, welche Events der Citymanager künftig plant oder flächen- und zeitmäßig erweitern wird. Dann ist höllischer Trubel in der Stadt! Aber, eigentlich wusste man auch das bereits: so etwas spricht sich sehr schnell herum. Man war und ist gewarnt.

Was aber Anrainer und Passanten nicht ahnten: das Antanzen am Maxplatz!

Damit ist nicht das mediale dauerpräsente Antanzen der Kölner Silvesternacht von 2015 gemeint. Hier wird kein weiblicher Po begrapscht, weder Smartphones noch Geldbörsen werden begehrt: Beute sind allein Vertragsabschlüsse bei „Non-Profit-Organisationen“ und die Bankdaten.

An Informationsständen gegenüber der Drogeriekette Müller und des Wöhrl-Modehauses warten sie: einsatzbereite, verkaufserprobte, kommunikative Weltverbesserungsstrategen, ausschauhaltend nach möglichen Wohltätern. Gerät man ins Blickfeld oder in Reichweite, dann kommen sie: rasant tänzelnd, wild gestikulierend auf arglos vorbeigehende Passanten zu. Reißausnehmen wird schwierig und erfordert Schneid, denn erst einmal ins Visier der Spendenpartisanen geraten, werden flüchtige Passanten schonungslos „ausgerufen“:

„Sie, Mann mit Hut und Fahrrad – bleiben Sie stehen!“ Die Rufe und Stehenbleibenbefehle beeindrucken den fahrradschiebenden Hutträger wenig: Stoisch, sich im Leben stets Autoritäten und eifrig moralisierenden Missionaren widersetzend, geht er seines Weges. Und dies mit frohem Gewissen! – Aber viele Passanten besitzen nicht diese Widerstandskraft.

„Sie, junge Frau, Sie wollen doch helfen!?“ Das Adjektiv macht zwar nicht jünger, wenn man den Zenit des Lebens überschritten hat, hört sich aber ziemlich gut an. Und es könnte wirken. Positive Ansprache, Blickkontakt: ach, so sympathische junge Leute, so engagierte Weltretter. Ganz anders als man selbst: Einkaufstüten in jeder Hand, mit Markennamen gar darauf. Man fühlt sich auf frischer Tat ertappt. Eskortiert vom Weltenaufklärer, folgt man mehr oder weniger willig zum Informationsstand. Und bekommt das Plakat gezeigt: kleines dunkelhäutiges Kind, große Kulleraugen, leere Schale in der Hand oder das Bild von der Eisbärenmutter mit Jungen, auf einer Eisscholle ins offene Meer treibend.

Selbstlose Weltrevoluzzer überführen eigennützige Konsumenten. „Auch Sie können helfen, können dem Kind zu essen geben!“ sagt der junge Mann. Das wirkt: Kommunikation besteht aus 9/10 Emotion: Natürlich möchte man, dass das Kind, Kinder überhaupt, genug zu essen bekommen. Und ebenso soll der kleine Eisbär sein Lebensumfeld behalten. Schuldgefühle kommen auf: Waren die Schuhe in der Tasche, überteuert sind sie allemal, wirklich so lebensnotwendig?, fragt man sich in Anbetracht des hungernden Kindes oder der Eisbärenfamilie.

Nach dem ausgiebigen emotionalen Teil des Gespräches folgen auf Anfragen „Fakten“ in Stenogrammstil: kurze knallharte Statistiken, knappe Weltkrisengebietsbeschreibungen, bürgerliche Unterlassungssünden werden schonungslos genannt: zu wenig Mitgliedschaften bei genau dieser Organisation – deutsche Waffenlieferungen bleiben unerwähnt, es geht nicht um deutsche Wirtschaftspolitik – sondern ganz konkret darum: Bürger, konsumfreudige Innenstadtpassanten sollen Verantwortung für jedwedes Kriegsgeschehen in der Welt, für Namibias Delphine, südafrikanische Seebären bis hin zu einheimischen Bibern – für Artenschutz überhaupt, übernehmen! Und wenigstens finanziell einen Beitrag leisten: gegen das offensiv betriebene Abholzen der tropischen Regenwälder, für die Welthungerhilfe usw.

Ja, das will man ja eigentlich auch, dass die Welt friedlich, kinderfreundlich, feinstaubfrei ist, dass alle Menschen genug zu essen haben sowieso …

Dann folgen weitere, durchaus vernünftige Argumente: Nicht jeder sei für den kämpferischen Einsatz in den Regenwäldern geeignet, Blockaden vor Bohrinseln sind auch sehr riskant, aber unterstützen kann man das Ganze dennoch – ohne sein Leben zu riskieren: „Auch mit kleinen Mitgliedsbeiträgen (dabei werden Halbjahresbeiträge genannt – hören sich geringer als Jahresbeiträge an) können Sie die Ziele der Organisation unterstützen.“ Als Mitglied ist man dabei, aber nicht an der gefährlichen vorderen Front.

Und plötzlich weiß Frau und Mann, man kann seine Schuld mindern, wenn Kinder in Afrika hungern, Eisbären um ihren Lebensraum fürchten: einfach beherzt Jahresverträge an Ort und Stelle unterschreiben.

Dann können die neu gekauften Schuhe mit guten Gewissen getragen und das sündhaft teure Parfüm ohne Reue benutzt werden.

Aber wer sind die jungen Leute, die Weltverbesserer tatsächlich?

Erst einmal Aufatmen: die jungen Werbeleute kommen nicht vom Auslandseinsatz am Hindukusch, waren auch nicht vor Ort bei Blockaden im antarktischen Walschutzgebiet und wurden bisher auch nicht bei Demonstrationen gegen Rassismus / Faschismus von irgendwelchen Cops niedergeknüppelt.

Meist sind es Studenten im Neben- oder Ferienjob, es gibt aber auch junge Leute, die das Anwerben im Fulltime-Job betreiben. Die Entlohnungen fallen unterschiedlich aus: ab Mindestlohn aufwärts, dazu Prämien bei Vertragsabschlüssen. Angeworben werden sie von Agenturen, die sie dann zu Verkaufstalenten oder gar zu Gesprächsdramaturgen psychologisch schulen bzw. abrichten. Die modulieren sogar deren Tonspur, damit diese sich dann in anderer Leute Beziehungs- und Gefühlsprogramm gewandt einloggen können. Zielvorgabe: Mitgliedschaft und Jahresbeitrag!

Bürger über globale Missstände informieren und zum Engagement ermutigen, ist völlig in Ordnung, ebenso akzeptabel ist es: Herzen und vielleicht auch Geldbörsen zu öffnen – aber nicht in dieser oft praktizierten Drückerkolonnenmentalität – dem Antanzen am Maxplatz.