„Keineswegs antihumanistisch“? – Yuval Noah Harari: „Homo Deus. Eine Geschichte von morgen.“

Werner Schwarzanger

Der Autor dieser „Geschichte von Morgen“ hat sein Buch Satya Narayan Goenka gewidmet. Die Danksagung verrät warum: Dieser buddhistische Guru hat ihn in Vipassana eingeweiht. Das ist die Meditation, durch die man durch sich leidgeplagte vorübergehende Illusionsblase hindurch die Nichtigkeit allen Seins durchschaut. Aus welchem Motiv also ist dieses Buch wohl entstanden? Aus der Sorge, dass kommende Robogötter uns versklaven könnten? Oder aus der Hoffnung, dass sie die Illusionsblasen namens „Mensch“ bald generell platzen lassen werden?

Das Buch, das der Spiegel mit Recht ein Monster nennt, verkündet vor allem diese darwinistisch-buddhistisch-biowissenschaftlich finale Botschaft: „Das Universum ist ein blinder und zielloser Prozess ohne Bedeutung.“ Das Leben ist sinnlos. Der angeblich freie Mensch ist ein humanistisch aufgeblasener Affe, der lediglich seine biochemischen Algorithmen vollstreckt. Seine Legenden vom „großen kosmischen Plan“ und unsterblichen „Seelen“ widersprechen den Grundprinzipien der Evolution. Lebewesen sind aus Teilen zusammengesetzte Dividuen. Bewusstsein ist nichts als ein aus Milliarden elektrischer Signale von Milliarden Nervenzellen erzeugter nutzloser Strom. Der Humanismus ist nur eine der irren Religionen jener Tiere, die sich einbilden, „authentisch“ sie „selbst“ zu sein, während sie doch nichts als „eine Kakophonie widerstreitender Stimmen“ sind. Alles Fühlen, Wünschen, Denken dieser dividuellen Kakophonien besteht aus Bioalgorithmen. „Und genau die gleiche Art von Algorithmen steuert Schweine, Paviane, Otter und Hühner.“ Für den Humanismus, diesen Aberglauben an den Menschen als die Krone der Schöpfung, war Homo Sapiens „eine geheimnisvolle Blackbox“. Die aber enthält „nur Gene, Hormone und Nervenzellen“. Doch weil diese oberschlauen Affen sich gemäß der Wünsche entscheiden, die in ihrem flüchtigen Bewusstseinstrom auftauchen, wähnen Sie sich „frei“. Ihre Wünsche keimen aber vor jeder Entscheidung biochemisch erzeugt in ihnen auf. Wenn so ein organischer Algorithmenvollstrecker einen anderen ersticht, dann, so Harari, nicht aus freiem Willen, sondern „aufgrund dieser oder jener elektrochemischen Prozesse im Gehirn, die durch eine bestimmte genetische Veranlagung beeinflusst sind“. Weil also das kakophonische Illusionsgespinst, das sich für eine „erste Person“ hält, nur weil es sprachverführt zu sich „ich“ sagen kann, „genauso real (ist) wie der Nikolaus und der Osterhase“, sollten wir Dividuen unsere dämlichen Hypothesen „Geist“, „Seele“ und „Freiheit“ endlich ebenso „im Mülleimer der Wissenschaft“ entsorgen wie „Gott“ und „Engel“. Und akzeptieren, dass, weil es so etwas wie ein „moralisch“ zurechnungsfähiges „Selbst“ nicht gibt, „die Grundfesten unseres Glaubens an die Menschheit“ erschüttert und damit „die Menschheitsgeschichte an ihr Ende gekommen“ ist. Und das ist, versichert der von The Sunday Times als der Prophet des Silicon Valley gefeierte misanthropische Darwinobuddhist, „kein Grund zur Panik“. Im Gegenteil: „Vielleicht wird auch der Zusammenbruch des Humanismus segensreich sein“! Das singuläre Superhirn, zu dem das Internet sich über das Netz aller Dinge auszuwachsen droht, wird uns, versichert Harari, „nicht zwangsläufig eine schlechtere Welt“ bescheren. Zwar werden die rundum überwachten ferngesteuerten vorausberechneten und durchquantifizierten Dividuen vergessen, dass ihre humanistischen Ahnen sich einst für eine „offene Gesellschaft“ autonom beseelter Individuen gehalten haben. Aber die Superalgorithmen des absoluten Souveräns werden Alle so optimal effizient vorausentscheiden, „dass wir verrückt wären, ihrem Rat nicht zu folgen“. Wenn der große Datenstrom alle menschlichen Erfahrungen als Daten miteinvernetzt und daraus errechnet, was Alle am besten zu tun haben, werden wir zur aufmerksamkeitbehelmten Überameisen, die „effektiver als je zuvor kommunizieren“. „Folglich sollten Sie“, empfiehlt Harari, am besten schon jetzt „nicht mehr auf Ihre Gefühle hören“, sondern auf „die Algorithmen von Google und Facebook“, die Sie längst besser verstehen als Sie sich selbst.

Da es nachgewiesenermaßen „so etwas wie ein authentisches Selbst, dem man folgen oder das man verraten kann, überhaupt nicht gibt“, hat sich „das erste humanistische Gebot – hör auf dich selbst!“ erübrigt. Damit ist dagegen, so Harari, „die humanistische Nabelschnur ganz durchzutrennen“, „den menschlichen Willen zu einem Designerprodukt wie jedes andere zu machen“ und „dafür zu sorgen, dass wir nie mehr unangenehme Wünsche“ haben, doch wohl nichts mehr einzuwenden – oder?

Weil wir analogen Dividuen Big Data beim besten Willen nicht bewältigen und daher dem Allnet nie gewachsen sein können, bleibt uns doch gar nichts anderes mehr übrig als die Menschmaschinenverschmelzung. Durch Umschreibung von Gencodes, Bioengineering, elektrische Direktstimulierung unserer Hirne, Anzüchtung künstlicher Glieder, Einführung von Millionen Nanobots in Blutbahn und Gehirn usw. usw. wird die große Schmelze uns radikal neuerfinden. Aber dadurch werden wir nicht einfach ausgelöscht, sondern uns jenseits der „hochtrabenden Vorstellungen“ von „irgendeinem besonderen Wesenskern“ oder einer „Seele“ „endlich auf die Ebene der Realität hinab begeben“, wo wir endlich Schritt für Schritt cyborgisch optimiert werden können. Werden wir uns so prima fernbedient denn nicht wie die belohnungsstimulierten Laborratten „wie im Nirvana“ fühlen? Was will man denn mehr?!

Naja, einen Haken, räumt Harari ein, hat die bevorstehende Verschmelzung der neuronalen mit der digitalen Software ja schon: Während sie einerseits den „homo deus“: den Robogott erschafft, der künstlich athanatisiert aus der bloßen Natur aussteigen wird, wird sie andererseits die Arm-Reich-Schere der Menschheit zerreißen. Denn was wohl werden die künstlichen Götter: die Kügs mit der durch KI erübrigten Masse bloß organischer Algorithmenkomplexe machen? Werden sie sie edelmütig wie ihresgleichen behandeln? Werden diese schier allmächtigen Erdbesitzer sie weiterhin „Menschsein“ und „Demokratie“ spielen lassen? Oder werden sie sie in Ställen halten wie die durch Autos ersetzten Pferde? Und was werden die gänzlich entbehrlich gewordenen Dividuen den ganzen Tag treiben? Computerspiele! Empfiehlt Harari maliziös. Virtuell surfen in 3-D! Oder werden die Kügs ihre rechtlosen „Menschen“ zu Puppen designen, denen es gar nicht erst mehr einfallen könnte zu „wählen“? „Was bringt es, demokratische Wahlen abzuhalten“, wenn das Allnet sowieso vorher weiß, „wie jede Person abstimmen wird?“

Die Religion der Kügs wird der Dataismus sein – und der „ist weder liberal noch humanistisch“.  A b e r, beeilt sich Harari hinzufügen, „er ist deshalb keineswegs antihumanistisch!“ Wie denn auch, wenn jenseits des Humanismus die Unterscheidung zwischen Human und Antihuman so aufgehoben sein wird wie jenseits der Moral die Unterscheidung zwischen Gut und Böse!

Wer meint das Ich als Illusion entlarvt zu haben, für den fallen unweigerlich auch Zurechnungsfähigkeit: Verantwortung: Moral: Rechtssphäre: Demokratie dahin. Ob nun ein paar „ewige“ endgültige Erdherrscher die Dividuenmasse ins Allnet verchippen oder als putzige Haustiere verhätscheln: ein vipassanisch gestählter Selbstverneiner weint dem Märchen vom Menschen keine Träne nach: „Rückblickend betrachtet wird die Menschheit nichts weiter gewesen sein als ein leichtes Kräuseln im großen kosmischen Datenstrom.“ Obsolete Gutmenschenmuster wie das deutsche Grundgesetz, das Autonomie und Privatsphäre von Dividuen beschützen wollte, werden rascher verdorren, wenn der Dataismus sich generalisiert, als ein Big Brother die umstoßen könnte.

Mit dem Monsterbuch „Homo Deus“ bereitet ein radikaler Menschheitsentwerter der radikalen Menschheitsentmachtung maliziös den Weg. Wäre es jetzt noch möglich, höhnt Harari, den von allen anderen Klassen abgekoppelten Exklusivzug der Cyber Tycoons in seiner rasenden Fahrt zu den Kügs zu stoppen, brächen Gesellschaft und Wirtschaft global zusammen.

Humanisten aller Länder, vereinigt euch wider die drohende posthumane Bigdatur! Sind die weder humanen noch antihumanen Kügs erst da, ist es auf Erden für immer zu spät.

Von Yuval Noah Harari. Aus dem Englischen übersetzt von Andreas Wirthensohn
576 S.: mit 57 teils farbigen Abbildungen. Gebunden
ISBN 978-3-406-70401-7
C.H. Beck Verlag
24,95 €