ETA Hoffmann-Theater – “europa verteidigen”: Pflichtprogramm für Europäer

groart.de

Viele sind gar nicht besorgt, sie sind einfach Rassisten! Bravo, Herr Küspert! Mit “europa verteidigen” ist Ihnen wieder ein sehr kluges Stück gelungen. Großes Theater, das Spaß macht und einen darin bestärkt, über das Leben und die Welt nachzudenken.

Niemand! Keiner kann gewinnen, wenn sich Menschen aus lauter Angst vor dem und den Fremden abschotten. Niemand hat etwas davon, in seiner persönlichen Festung Europa auszuharren, bis die Zeit an ihm vorbei gerauscht ist. Niemandem bringt es etwas, “sein” Europa vor neuen Menschen meinen verteidigen zu müssen. Europa ist, wenn es keinen Krieg gibt. Europa ist, wenn wir gemeinsam friedlich leben können. Daher müssen wir Europa verteidigen.

Nach „rechtes denken“ zeigt das ETA Hoffmann Theater mit „europa verteidigen“ ein weiteres Werk des vielfach ausgezeichneten Dramatikers Konstantin Küspert. In seinem Werk stellt Küspert die Frage nach der Idee Europas, was diese heute für uns bedeutet und welche Verantwortung man als „Europäer“ für das Ganze hat. Entstanden ist das Stück im Auftrag des Bamberger Theaters und eröffnet im Wechselspiel zwischen Mythologie, zeitgenössischen Monologen und Schlaglichtern aus einer bewegten europäischen Historie einen gedanklichen Raum um die europäische Idee.

Äußerst kritisch bedenkt Küspert die Horden besorgter Bürger mit witzig-sarkastischen Seitenhieben, die meinen, Europa mit kalten Schultern vor “den anderen” verteidigen zu müssen. Als überzeugter Europäer verlässt man den Zuschauersaal gestärkt und mit neuer Hoffnung. Ja, es macht Mut. Gerade weil Küsperts Werk aufzeigt, dass die Jahrtausende alte Geschichte unseres Kontinents und des politischen Konstrukts Europa zwar stets Krisen und Konflikte hervorbrachte. Dass es aber immer Menschen gab und geben wird, welche die Idee Europa voranbringen und sich dafür einsetzen, dass Nächstenliebe und Offenheit keine plumpen religiösen Schlagworte bleiben/sind/werden, sondern den Kern dieser so wertvollen pluralistischen Gesellschaft bilden.

Dort kommen wir her — aber wo gehen wir hin?

Kurzweilig lässt die Regisseurin Cilli Drexel die Figuren durch europäische Geschichte wandeln: Man hört Publius Cornelius Scipio Africanus vor dem römischen Senat reden, begleitet die Wikinger bei der Besiedlung Grönlands und findet sich plötzlich eingehüllt in Schall und Rauch beim D-Day 1944 in der Normandie. Auch einen (beängstigenden) Blick in die Zukunft wagt Küspert: Im Jahre 2020 fährt Frontex im Mittelmeer Patrouille. Ekelhaft gleichgültig schießt das Schiff in einem Routineeinsatz Schlauchbotte ab und ermordet mehr als 400 Flüchtlinge. Sieht so unsere Zukunft aus?

 

Gespickt ist die Vorführung von Monologen verschiedener Einwohner der EU, die wechseln zwischen Zuversicht, Angst und Optimismus. Die Schauspieler Bertram Maxim Gärtner, Nicolas Garin, Stefan Hartmann, Ronja Losert und Marie Nest ziehen das Publikum von Beginn an in ihren Bann und opfern sich auf der Bühne beinahe auf, um dem Leiden und Leben der europäischen Idee Gesichter zu geben. Schade, dass schon bei der dritten Vorführung “europa verteidigen” beinahe die Hälfte der Stühle im Studio leer geblieben sind. Das haben weder die Macher des Stücks noch die Idee dahinter verdient.

Manchmal derb und direkt (Zeus vergewaltigt die arme, junge Europe und überantwortet sie fortan einfach ihrem Schicksal), manchmal lustig und überspitzt — Küspert trifft stets den richtigen Ton und lässt sein Publikum gehörig schmunzeln, aber auch entsetzt schlucken und nachdenklich die Stirn runzeln.

Bei dem Stück “europa verteidigen” kommen alle auf ihre Kosten: Theaterfreunde, weil die Summe aus Idee, Ensemble, Bühne und Umsetzung einen gelungenen Kulturabend verspricht. Europafreunde, weil sie einen (noch nicht zerbrochenen) Krug vorgetragen bekommen, der mehr als halbvoll zu sein scheint. Europagegner, weil sie noch einmal ihre Ängste überdenken können. Daher ist mein Appell eindeutig: Dieses Stück sollte Pflichtprogramm sein für alle Europäer — und alle, die es werden wollen.