Verfangen im Maschendrahtzaun

In Stephan Suschkes „Fidelio“-Inszenierung am Mainfrankentheater überzeugt nur das stimmige Bühnenbild

Von Monika Beer
Sieht dramatischer aus, als es in der Theaterwirklichkeit ist: Szene aus der Würzburger „Fidelio“-Inszenierung mit (von links) Hans-Georg Priese als Florestan, Bryan Boyce als Pizarro und Karen Leiber als Leonore. Foto: Falk von Traubenberg

Sieht dramatischer aus, als es in der Theaterwirklichkeit ist: Szene aus der Würzburger „Fidelio“-Inszenierung mit (von links) Hans-Georg Priese als Florestan, Bryan Boyce als Pizarro und Karen Leiber als Leonore. Foto: Falk von Traubenberg

Was passiert, wenn man ein Pferd von hinten aufzäumt? Es läuft in die falsche Richtung. Genau das ist jetzt in Würzburg zu erleben, wo Stephan Suschke Ludwig van Beethovens „Fidelio“ von seinem allzu positiven Schluss befreien wollte und darüber vergaß, was diese Oper sonst noch zu erzählen hätte – ein Abend, der sich in szenischer Gleichförmigkeit und Belanglosigkeit vergaloppiert. Nur das subtil beleuchtete Bühnenbild und der erste große Chorauftritt sind ein Lichtblick.

Dabei standen die Vorzeichen nicht schlecht. Der Regisseur, der als langjähriger Mitarbeiter Heiner Müllers nach dessen Tod bei den Bayreuther Festspielen bis 1999 die legendäre „Tristan“-Inszenierung betreute und 2005 am Mainfrankentheater debütierte, hat in Würzburg schon allerhand Sehenswertes produziert, darunter mehrere gelungene Opern. Seit der Saison 2013/14 wirkt Suschke prägend als Schauspieldirektor, auch sein letzter Ausflug ins Opernfach mit „The Rake’s Progress“ von Igor Strawinsky zum Mozartfest 2014 war brillant.

Leider gilt das nicht für „Fidelio“. Vielleicht hat Suschke mit seiner pessimistischen Sicht auf Beethovens Freiheitsmanifest und Lob der Gattenliebe einfach zu viel gewollt: Immerhin wird nach dem nur modischen Ouvertüren-Video mit der sich die Haare abschneidenden Leonore schnell klar, dass das „Fidelio“-Gefängnis im Hier und Heute und überall stehen könnte. Bühnenbildner Momme Röhrbein hat mit viel Maschendrahtzaun, Metallpodesten und -treppen ein mehrstöckiges, von Roger Vanoni vorzüglich beleuchtetes Gitterlabyrinth auf die Drehbühne gestellt.

Auf zeigefingerhafte orangefarbene Overalls verzichtete Kostümbildnerin Angelika Rieck. Sie steckt  die Insassen und das Aufsichtspersonal in moderne dunkle Alltags- und Berufskleidung. Mit keckem  hellblauen Minirock sticht nur Marzelline heraus, die ihren Zoff mit Jacquino beim Wäscheabhängen und nicht beim Bügeln ausficht. Ihr Vater, der Kerkermeister Rocco, hat ein steifes Bein, geht am Stock und ist ein Mann, der brav obrigkeitshörig vor Pizarro (in dunklem Nadelstreifen) kuscht.

Dass es kein Kostüm gibt, das aus der Sopranistin Karen Leiber glaubhaft einen Mann bzw. den Titelhelden machen kann: geschenkt! Wir sind ja in der Oper, wo die ohnehin kuhäugigen Zuschauer nach Florestans „O Gott! Welch Dunkel hier!“ ernsthaft glauben sollen, dass ein Politiker-Machtmensch wie Pizarro Angst vor Leonores Taschenlampe haben könnte. Fantasie hilft allerdings nicht weiter, wenn Leonore und das Gros des weiteren Personals gegen Ende plötzlich in historischen Gewändern und überwiegend grell geschminkt auftreten. Das sieht zwar schön bunt aus, wird nach der Friss-Vogel-oder-stirb-Methode szenisch weder vorbereitet noch erklärt.

Angesichts der ohnehin nur oratorienhaften Personenregie bleibt diese Regieidee marginal. Frontales Zuschauersingen ist angesagt, was die Beziehungen zwischen den Figuren mehr sabotiert als fördert. Dass das wieder vereinte Paar sich in namenlosen Freude nicht etwa in den Armen liegt, sondern sein Glück dezidiert vereinzelt besingt, mag eine späte „Tristan“-Reminiszenz sein. Oder beleuchten, dass ernstliche Beziehungen in einem Staatsgefängnis eben nicht möglich sind. Immerhin wird deutlich, dass nicht nur die Sträflinge eingesperrt sind, sondern ebenso ihre Bewacher. Als Essenz einer „Fidelio“-Inszenierung ist das herzlich wenig.

Gemischte Gefühle auch bei der musikalischen Umsetzung. Gänsehaut rief in der besuchten zweiten Vorstellung bei mir nur der von Michael Clark erstklassig einstudierte Chor der Gefangenen hervor. Unter den Solisten ragte sängerdarstellerisch diesmal niemand heraus. Karen Leiber (Leonore) und Hans-Georg Priese (Florestan) mussten leider mit einigen Spitzentönen kämpfen, der Rest hatte ebenfalls nur solides Stadttheaterniveau. Was auch für das Orchester unter Sebastian Beckedorf gilt, das zu Beginn entschieden zu viel verwackelte und erst im Laufe des Abends zu einem stimmigen Musizieren fand.

Besuchte zweite Vorstellung am 5. März 2015, weitere Aufführungen im Mainfrankentheater am 12., 14., 18., 29. April, am 6., 17., 29. und 31.Mai, am 5., 13. und 27. Juni sowie am 9. Juli. Karten gibt es telefonisch unter 0931/3908-124 sowie online unter www.theaterwuerzburg.de