Der dritte Kandidat

Von Philosphinx

Er hauste zusammen mit zwei Katzen und zwei Polen. Er hatte sie irgendwann aufgelesen und dann in sein großes Haus und in sein großes Herz gelassen. Er war des Alleinseins überdrüssig. Er konnte nichts mit sich alleine anfangen, mit dieser schweigsamen, erdrückenden Einsamkeit in seinem weiträumigen, leeren Haus, zu dem noch ein herrlich grüner Garten gehörte. Er wollte sein Leben mit jemandem teilen, und nachdem ihn seine Frau nach vielen Ehejahren verlassen hatte, die Kinder ausgezogen waren und zu guter Letzt auch noch sein treuer Hund starb, nahm er vorlieb mit zwei anhänglichen schmusebedürftigen Katzen und dem jungen Paar aus Polen, das froh war, ein so schönes Dach über dem Kopf zu haben. Die beiden jungen Leute wollten in Deutschland heimisch werden, hatten eine Arbeitsstelle gefunden und einen großzügigen Hausherrn. Sehr schnell bemerkten sie seine Verlassenheit, sein Bedürfnis nach Gesellschaft und Kommunikation, und nach kurzer Zeit war es für sie selbstverständlich, in seiner Wohnung ein- und auszugehen, die Katzen zu füttern, die Blumen zu gießen, gemeinsam mit ihm zu kochen und zu essen. Sie erzählten sich gegenseitig aus ihrem Leben, nahmen regen Anteil am Schicksal des anderen, waren da und hörten zu. Und bald konnte er es sich ohne sie gar nicht mehr vorstellen. Das helle, unbeschwerte Lachen der jungen hübschen Frau, die ruhige Ernsthaftigkeit und nachdenkliche Aufmerksamkeit ihres Freundes. Die beiden taten ihm gut, lenkten ihn von seinen Sorgen ab. Er fühlte sich wohl in seinen eigenen Räumen, die ihm jetzt nicht mehr alleine gehörten.

Bis eines Tages ein neuer Mensch in sein Leben trat. Er hatte spontan auf eine Anzeige geantwortet, ohne allzu große Hoffnung auf Erfolg. Der Frau gefiel sein Antwortschreiben, sie rief ihn an, und er war augenblicklich von ihrer Stimme, ihren Worten fasziniert. Sie schrieben sich lange Briefe, führten endlose Telefonate und spürten dabei eine enge Verbundenheit. Ihre Interessen, ihre Wünsche, Vorstellungen und Träume ähnelten sich sehr, die Basis schien zu stimmen. Und dann wagte er den nächsten Schritt. Er besuchte sie in ihrem Haus und verbrachte dort ein harmonisches Wochenende. Nein, der Blitz hatte nicht eingeschlagen, über dieses Alter waren sie wohl beide schon hinaus, aber die Vernunft und die Sehnsucht auf beiden Seiten ließ sie nach wie vor an eine Partnerschaft, an eine gemeinsame Zukunft glauben. Ein bisschen vermisste sie die Schmetterlinge im Bauch, und er war frustriert über ihre sachlichen Pro- und Contralisten, die sie über jedes Date beziehungsweise jeden Kandidaten anlegte, und obwohl er eindeutig ihr Favorit war, blieb auch er nicht ganz von Contras verschont. Aber sie wollten ihre Chance nutzen und weiter aktiv werden. Also versprach sie ihm, ihn in seinem Haus zu besuchen. Nun lebte sie bereits seit fünfzehn Jahren alleine in dem ihrigen. Sie hatte durchaus Kontakte, Freunde und einige heftige Affären, aber eine feste Alltagsbeziehung hatte sich nach dem frühen Tod ihres Mannes nicht mehr ergeben, und so sehr sie anfangs unter dem Alleinsein gelitten hatte, so sehr hatte sie sich inzwischen daran gewöhnt, ihren ganz eigenen Rhythmus zu leben, niemandem Rechenschaft schuldig zu sein und in ihrem Reich die Alleinherrschaft zu führen.

Es blieb ihr nicht verborgen, dass noch jemand bei ihm wohnte, denn einige Male nahm der junge Pole das Telefon ab, als sie bei ihm anrief. Es irritierte sie ein wenig, aber sie machte sich keine weiteren Gedanken, schließlich waren ihr seine Gewohnheiten noch fremd, und jeder Mensch hat nun mal seine spezifischen Eigenarten und seine persönliche Geschichte. Doch nachdem ihr Besuch kurz bevorstand, klärte er sie über seine Mitbewohner auf, über ihren mittlerweile verwobenen Alltag, das häufige Beisammensein, den Halt, den sie sich gegenseitig gaben. Und während er es ihr erläuterte, mit klaren, warmen Worten um ihr Verständnis warb, stürzte sie innerlich ab. Sie würde wieder nur ein Eindringling sein in einer kleinen bereits gewachsenen Gemeinschaft. Sie kam ja von außen, sie würde sich erst integrieren müssen, behaupten und anpassen und wer – diese bittere Erfahrung hatte sie mehrmals gemacht – würde schon freiwillig seinen Platz räumen wollen. Katzen nicht und Menschen nicht.