Sommers, unter Apfelbäumen, wo Orgeln spielen und Finnland ruft. Mit Dorothea Grünzweig in den hohen Norden.

Fürs Sommerliegen unter Apfelbäumen
ziehn Betten in die Gärten
der Himmel ist verheilt

Wenn auch ein Stern noch
klaffen würde mit
Augen nachtlos wär er
nicht zu sehen und

Augen überhaupt
vom Gartenbett nach oben
schauend gemeinsam mit den Seen
viel blaue Augenschwärme
.                                musiikki Musik

.                                      die Orgeln
die einst Wohnung in uns
nahmen dann verstummten
haben zu spielen angefangen

Dorothea Grünzweig

Von Chrysostomos

Angesichts des heißen Sommers soll, ehe es wieder weiter gen Italien geht, ein Abstecher nach Finnland für Erfrischung sorgen. Dort ist, seit 1989 schon, Dorothea Grünzweig zuhause. Geboren ist sie – wie die Grande Dame der Japanologie hierzulande, Irmela Hijiya-Kirschnereit – in Korntal bei Stuttgart. Und zwar in dem Jahr als, bei den Olympischen Spielen in Helsinki, Emil Zatopek über 5000 Meter, über 10 000 Meter und im Marathonlauf gewann. Das sei hier erwähnt, weil Grünzweig eines der wenigen Gedichte („Wüsste ich wie das Fliegen geht“) geschrieben hat, die vom Laufen, die von einem Langläufer handeln, von einem der sogenannten fliegenden Finnen: von Paavo Nurmi. Und Nurmi war es eben, neben Zatopek der überragende Mittel- und Langstreckenläufer des vergangenen Jahrhunderts, der damals im Helsingin olympiastadion das olympische Feuer entzünden durfte.

Zurück zu Grünzweig. Nach dem Studium der Germanistik und Anglistik lehrte sie an der Universität von Dundee an der schottischen Ostküste. Hernach ging sie an ein süddeutsches Internat, Ende der Achtziger dann nach Helsinki, wo sie an der Deutschen Schule unterrichtete. Als freie Schriftstellerin und Übersetzerin (aus dem Finnischen und Englischen) lebt sie seit 1998 in einem Dorf im Süden Finnlands.

In ihren Gedichten, die in Thedel von Wallmodens sehr feinem Göttinger Wallstein Verlag erscheinen, reflektiert Grünzweig das Leben im hohen Norden, beschreibt die Landschaft, evoziert die Natur, auch Musik, vor allem die der Orgel. Immer wieder denkt sie auch, was wundert’s, über Sprache nach, beispielsweise in „Übersetze und Träume“, das so anhebt: „ich bin ein soeben übersetztes Gedicht / bin aufgelöst und neu geschaffen / erinnere keine Drift / von Abraumich zu Anraumich / träum nur dass dies geschehen ist“.

Naturgemäß finden sich in Grünzweigs Lyrik immer wieder finnische Vokabeln, ganze Zitate, Anspielungen, Stimmen und Lieder. Doch möge man sich dadurch nicht deren Lektüre vergraulen lassen, im Gegenteil. Gedichte leben nun einmal von und mit Sprache, sie schöpfen sie aus, sie schaffen daraus Neues. Auch, indem sie (uns) fremde Sprachen einbeziehen. Außerdem sorgen Anmerkungen für Erhellung, und in dem Band Glasstimmen lasinäänet (2004) klärt ein konziser Exkurs über die Aussprache des Finnischen auf.

Volker Sielaff, der Dresdner Autor, den wir innerhalb dieser Reihe am 5. März vorstellten, schrieb über Grünzweig in den Dresdner Neuesten Nachrichten: „Diese Dichterin scheint geradezu dem Universum der Laute entstiegen, sie spielt mit ihnen, sie dreht und wendet sie, und manchmal verschiebt sie sie um eine Winzigkeit, um ihnen neuen, anderen Sinn abzugewinnen.“ Und Tilman Spreckelsen, ein (allerdings loser) Bekannter aus Chrysostomos’ Freiburger Zeit, stellte in der FAZ fest: „Diese Verse haben eine verhaltene Schönheit, der man sich beim wiederholten Lesen kaum mehr entziehen kann.“ Concordo. I agree. Ich stimme zu. Diese beiden Bewertungen finden unsere volle myöntymys.

NB: Die Einlassungen Sielaffs und Spreckelsens gelten Grünzweigs jüngstem Band, Sonnenorgeln. Ausgewählte Gedichte und ein Werkstatt-Essay (2011). Eine beigefügte CD dokumentiert die Zusammenarbeit zwischen der Lyrikerin und dem Akkordeonisten Antti Leinonen.