Da zirpt ein Vogel auf im Traum: Verona! Einer kleinen Sommerreise durch das Sehnsuchtsland der Deutschen zweiter Teil.

Veroneser Sommernacht

Auf Taubenfüßen kommt die Nacht.
Gieß ein den gelben Wein!
Noch wiegt ein Wind den Rebstock sacht,
noch fiebert heiß der Stein.
Ein Purpurschein um das Kastell …
Trink aus! Der Tag stirbt schnell.

Schon blinkt durch Laubes Filigran
blaßgrün der Himmel auf.
Die Fledermaus schreibt ihre Bahn,
und der Zypressen Knauf
schlägt, eine schwarze Flamme, hoch.
Die Sterne zögern noch.

Da zirpt ein Vogel auf im Traum,
und Grillensang beginnt.
Und durstig trinkt die Nacht sich Raum.
In ihre Schale rinnt
des halben Mondes voller Schein
wie Wein und Elfenbein.

Die Nacht ist weit. Am Himmel fährt
der Wagen auf. Steig ein!
Es muß, wo keine Grenze wehrt,
ein gutes Reisen sein.
Weit ist die Nacht. Leicht ist die Nacht!
Wie Stoff, aus dem man Seelen macht.

Rudolf Hagelstange

Von Chrysostomos

Auch er ist einer der unzähligen Steller der Schrift die – einst durchaus populär – heute nahezu vergessen sind: Rudolf Hagelstange. Berühmt machte ihn das Venezianische Credo, ein Kranz aus fünfunddreißig Sonetten, den Anton Kippenberg, der bedeutende Verleger, 1946 bei Insel herausbrachte und dessen letzte Gedichte in Verona entstanden. Hagelstange, 1912 in Nordhausen (Harz) geboren, hatte den Krieg als Berichterstatter und Redakteur von Soldatenzeitungen in Frankreich und Italien verbracht und, neben der Lagunenstadt und Verona, beispielsweise auch Rom und Portofino in den lyrischen Blick genommen.

Hagelstange war in jungen Jahren ein guter Leichtathlet; 1938 wurde er Mitteldeutscher Meister (vermutlich nicht nur der Alliteration wegen) im Stabhochsprung. Die Begeisterung für Sport hielt an und spiegelt sich im Besuch der Olympischen Spiele 1960 und 1964, in Tokio also und zuvor in Rom, über die er schrieb. Es waren die Spiele des Äthiopiers Abebe Bikila, der in Italien und in Japan den Marathon gewann. Bikilas Goldmedaille von Rom war die erste für den afrikanischen Kontinent überhaupt, und obwohl er die 42,195 Kilometer barfuß zurücklegte, siegte er in Weltrekordzeit (2:15:16).

Nach einer kurzen Mitarbeit im thüringischen „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung“ ging Hagelstange 1946 in den Westen: nach Westfalen, an den Bodensee, ins Elsaß, von 1970 an nach Erbach im Odenwald. Dort ist der im August 1984 in Hanau gestorbene Erzähler, Lyriker und Reiseschriftsteller auch begraben. Auch mit Übersetzungen ist Hagelstange hervorgetreten. Er übertrug die Gedichte Pablo Nerudas und die Fabeln von Äsop.

In seiner Lyrik bedient sich Hagelstange traditioneller Formen und Bilder. Er spielt mit Klang und Laut und Reim, beschwört Eros und Thanatos, ruft Flora und Fauna an. Heiß fiebert der Stein, die Fledermaus schreibt ihre Bahn, ein Vogel zirpt im Traum. Erst zögern die Sterne noch, in der Schlußstrophe aber fährt der Große Wagen auf. In solchen Weiten der lichten, leichten Sommernacht muß es ein gutes Reisen sein: „Wie Stoff, aus dem man Seelen macht.“

NB: Hier noch eine Zugabe, ein zweiter Hagelstange. Auf geht’s, weiter mit der Italientour, nach Venedig. Dazu bald mehr.

Weit in die Runde schwingts wie Taubenflug

Weit in die Runde schwingts wie Taubenflug,
der Campanile bebt in den Gewölben.
Ein Baldachin von einer bläulich-gelben
rauschenden Seide, die ein Wolkenzug

durchwirkt mit lichterfüllten Ornamenten,
spannt sich der Himmel über Platz und Dom,
und aus den Gassen drängt der Menschen Strom,
die sich gleich euch von ihrem Schatten trennten.

Sie wandeln redend, lachend im Gewimmel
und spreizen sich wie Vögel ihr Gefieder,
und freuen sich, in großer Schar zu sein.

Dann kommt des Mondes Sichel, schlitzt den Himmel.
Es stürzt, und dunkel fällt hernieder.
Und nun beginnt ihr wieder wahr zu sein.

Ein Gedanke zu „Da zirpt ein Vogel auf im Traum: Verona! Einer kleinen Sommerreise durch das Sehnsuchtsland der Deutschen zweiter Teil.

  1. ich bin keine Expertin
    nur Lesende und Empfindende
    ich bin sehr berührt von den Worten,
    die Rudolf der Dichter setzt.
    Es ist etwas Besonderes.
    Meine Mutter, 92, ist auf ihn gestoßen,
    als sie Ilse Gräfin von Bredow las.
    Deren großartige Erinnerungen an Schlesien,
    die märkische Schweiz, in der sie später lebte –
    das scheint mir in Rudolfs Gedichten wiederzukehren.
    Irgendwie.

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