Vergiß auch diese letzten Astern nicht, oder: morgens und abends zu lesen. Johann Christian Günther wendet sich an die ihm lebenslang Liebste.

An Leonoren.

Gedenck an mich und sey zufrieden
Mit dem, was Glück und Zeit bescheert;
Wir werden noch einmahl geschieden,
Und scheinen solcher Prüfung werth.
Die wahre Treu erinnert dich:
Halt an, halt aus und denck an mich!

Gedencke der vergangnen Tage!
Wie manches Creutz, wie manche List,
Wie manche Lust, wie manche Plage
Bereits damit vergangen ist?
Gedenk an Altan, Hof und Herd,
Wobey sich dir mein Hertz erklärt.

Gedenck an unser Abschied-Nnehmen,
Insonders an die letzte Nacht,
In der wir mit Gebeth und Grämen
Die kurzen Stunden hingebracht!
Gedenck auch an den treuen Schwur,
Der dort aus deinen Lippen fuhr.

Gedenck an mich an iedem Morgen,
Und wenn die Sonne täglich weicht!
Gedenck an mich bey Fleiß und Sorgen,
Mein Bildniß macht sie süß und leicht.
Verletzt dich auch der Mißgunst Stich;
Der beste Trost: Gedenck an mich.

Gedenck auch an die frohen Zeiten,
Die noch in Wunsch und Zukunfft sind!
Die Vorsicht wird uns glücklich leiten,
Biß Lieb und Treu den Krantz gewinnt.
Ein Augenblick vergnügter Eh
Bezahlt ein Jahr voll Angst und Weh.

Gedenck auch an mein heutig Küssen,
Es giebt der Hoffnung frische Krafft,
Es wird dein Warten trösten müssen,
Es nährt die alte Leidenschafft!
Doch denck auch endlich, liebst du mich,
Allzeit und überall an dich!

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