The horror! The horror! Die Monsterpoeme Nora Gomringers laden ein zu einem dreifachen Horrortrip: im Gedicht, auf CD und via sie begleitender Illustrationen, die zudem als Postkartenserie zu haben sind.

P

Sylvia und Norman teilen sich ein Zimmer in einer großen ame-
rikanischen Stadt. Sie backt, und manchmal – übermannt von
Traurigkeit – steckt sie den Kopf gleich mit in die Röhre.
Norman trägt ihre Kleider, während sie auf der Geschlossenen
nicht recht gesund werden will. Sie lernt einen Veteranen
kennen – der Krieg ist erst zehn Jahre her –, der ihr von
Deutschland erzählt. Sie weint und weint. Wenn Norman sie
besucht und sie sich wie ein Ehepaar verhalten, sieht sie,
dass er sich in ihrem Bikini gesonnt hat. Sie sagt nichts
dazu. In Sylvias Abwesenheit beginnt Norman, die Wohnung um-
zugestalten und Besuch zu empfangen. Er hat Vorlieben, die
er gerne mit schreckhaften Frauen teilt. Oft denkt er, dass,
wäre sein Leben ein Film, er nur einen Teil haben könnte.
Sylvia reicht die Scheidung ein, als sie in den Schränken
Schuhe findet, die eindeutig getragen, aber nicht ihre sind.
Er sagt, die hätten seiner Mutter gehört. Mit denen wäre
sie seinem Vater davongelaufen. Sylvia weint und schreibt.
Norman zieht in ein großes Haus am anderen Ende des Landes.

Die Schuhe hat er mitgenommen.

Nora Gomringer

Von Chrysostomos

Man fragt sich bisweilen schon, wann und wie die Frau dies alles schafft! Lesereisen nicht nur durch die Republik, sondern über den Kontinent, über mehr als einen. Dazu Poetikdozenturen an den Universitäten von Landau, Sheffield und Kiel, Einladungen zu Diskussionen in Funk und Fernsehen, Beiträge und Glossen für Feuilletons nicht ganz unwichtiger Blätter – wie etwa für die Neue Zürcher Zeitung – seit April 2010 Leiterin des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia in Bamberg, außerdem Arbeit an diversen Projekten und Büchern, darunter auch an einer Dissertation über „Horrorfilme und -literatur seit 2001“.

Die Beschäftigung mit dem Horrorgenre hat nun Früchte getragen in Form des soeben bei Voland & Quist in Leipzig erschienenen Bandes Monster Poems. Illustriert hat ihn der freie Graphiker Reimar Limmer, der derzeit sein Zuhause in Bamberg hat. Sämtliche Gedichte hat Gomringer auf CD eingesprochen, die dem fein gestalteten Buch beigefügt ist.

Drei vorangestellte Motti von W. G. Sebald („Genau kann niemand erklären, was in uns geschieht, wenn die Türe aufgerissen wird, hinter der die Schrecken der Kindheit verborgen sind.“), von Shakespeare („Hell is empty / and all the devils are here.“) und von Michael Jackson (aus „Thriller“) schlagen den Gruselton an. Nicht immer geht es in den Monster Poems um Gestalten aus dem Film und der Popkultur. Manches Mal geht es Gomringer, wie sie in den Anmerkungen schreibt, „um unbestimmte Gefühle, Ängste und Traumata aus dem Alltagsleben“: „Mich interessiert, wer oder was ein Monster ist oder auch sein kann, wie es zum Monster wird und inwieweit das Konzept ‚monströs‘ auf alle Menschen zutrifft.“

Die Hölle, oder, wie es bei Joseph Conrad heißt: „The horror! The horror!“, war das Leben für Sylvia Plath über weite Strecken. Das titelgebende „P“ im eingangs gebrachten Schreckensbeispiel steht laut Anmerkung für Anthony Perkins, findet sich freilich genauso in dessen wohl größtem Erfolg (eben erfolgreicher noch als „Lieben Sie Brahms?“), dem von Alfred Hitchcock gedrehten „Psycho“ (1960), sowie in Plath. 1963 hatte Sylvia Plath von Ted Hughes, in dessen Gedichten es an Schrecken und Gewalt nicht mangelt, von der Hölle, von der Depression, die ihr Leben war, genug und steckte in London den Kopf in die Röhre (siehe dazu den Eintrag innerhalb dieser Kolumne vom 11. Februar, „Sterben ist eine Kunst, wie alles. Ich bin darin eine Meisterin.“).

Gomringer, die Ende Januar 1980 im saarländischen Neunkirchen geborene vielfach Preisgekrönte, de-monstriert in ihren neuen Poemen einmal mehr, daß sie „etwas mit der Sprache machen“ kann, beispielsweise immer wieder überraschende und -zeugende Neologismen kreiert. „Echsemplar“ heißt eines ihrer Gedichte, „Evatar“ ein zweites. Auch den Illustration von Reimar Limmer gelingt, ausgehend vom jeweiligen Text, immer wieder überraschend Neues, etwa wenn er zwei photographische Portraits, Sylvia Plath hier, Anthony Perkins dort, zu einem einzigen collagiert.

NB: Derzeit ist Nora Gomringer in Sachen Jean Paul unterwegs. Die Monster Poems wird sie am 12. April um 19.30 Uhr in der Evangelischen Stadtakademie Nürnberg vorstellen.