Urbane Plaudereien – Karpfenessen (Teil 1 von n Teilen; geht gegen unendlich)

Peter von Liebenau

Heute gibt es Cyprinus carpio morpha noblis – tja, „nobel“ geht die Welt zugrunde! Wir gehen Karpfen essen. Keinen gewöhnlichen Karpfen freilich, sondern den Aischgründer Spiegelkarpfen, wohl so genannt nach den spiegelnden Schuppen, eine besondere Zuchtart.

All das weiß der urbane Bamberger freilich längst, was erzähle ich da?

Urban wie wir sind, sehen wir die Fahrt zu einer Gaststätte, in der man Karpfen in diversen Zubereitungsarten verspeisen kann, als eine „Landpartie“; denn wir hätten auch eine Auswahl von Küchen intra muros zur Verfügung, welche einen Cyprinus-carpio-Import lobenswert weiterzuverarbeiten durchaus im Stande sind. Bei diesen handelt es sich um Restaurants, wie man sie nicht anders auf dem Lande finden kann. Verschämt wird uns, urban Denkenden, dann doch klar, dass es eigentlich nur ein Zusammenschluss von Dörfern ist, der schließlich die urbs Bamberg bildet, das ehemals auch so genannte „castrum“, dessen Ummauerung wohl nie so ganz umschließend-einheitlich vorhanden war, weswegen wir gar nicht „intra muros“ sagen dürften. Aber: Berlin ist auch eine Ansammlung von ehemaligen Dörfern und wurde sogar von Franken, bekanntlich den Hohenzollern, beherrscht und aufgebaut.

Trotzdem. Eine Landpartie. Wir begeben uns in der Stadt Bamberg gen Süden, überschreiten den Laurentiusberg, der uns an die Partnerstadt Prag und an die Seelenwägung Kaiser Heinrichs erinnert, und streben dem Aischgrunde, vulgo „Aaschgrund“, zu. Der urbane Bamberger spricht selbst nicht durchgehend Dialekt, aber er kennt die Idiomatik und deren Aussprache sehr wohl und benutzt diese leicht ironisch-distanziert. Viele nicht-urbane Bamberger erkennen das, schauen den urbanen Städter schief an und meinen, dieser sei kein gebürtiger Bamberger, was für sie eine Art Mitgliedsausweis darstellt. Er ist es aber doch, nur war er lange Zeit, zum Beispiel zum Studium, in anderen Städten, wie Würzburg – wo jeder immer noch jeden kennt – oder Erlangen, ein Dorf, von dem meine Großmutter sagte, dass man dort in die Dachrinnen langen könne.

In den Aaschgrund also, verherrlich von dem Dichter Helmut Haberkamm, daselbst gebürtig, in Mundart schreibend und gleichzeitig hochintellektuell, streben wir. Auch die anderen großen Zeitungen Bayerns handelten den Aischgrund bereits als Geheimtipp.

Der urbane Bamberger begibt sich auf eine Landpartie zum Karpfenessen, was er natürlich mit dem Besuch kultureller Sehenswürdigkeiten verknüpft; denn einfach zu essen wäre ja zu profan, und der Bamberger, ob urban oder nicht, ist nun einmal dem rein Profanen abhold, auch wenn er nicht mehr in die Kirche geht.

Mögliche Sehenswürdigkeiten auf der Fahrt in den Aischgrund wären, in einigermaßen geographischer Reihenfolge: Die Siebenschläferkapelle in Stegaurach (die Pfarrkirche ist seit der Modernisierung keine Sehenswürdigkeit mehr), die Bücherei von Stegaurach, das Boveri-Schlösschen in Höfen, die Kirche in Herrnsdorf, die Gastwirtschaft daselbst, deren Personal, das Ensemble von Schlüsselau mit Hinweisen auf Konrad von Schlüsselberg, Schlüsselfeld und den Schlüsselstein (geht’s noch?), den beginnenden Radweg am Bahnhof in Frensdorf (ansonsten wurde in diesem Ort beherzt abgerissen, was an altem Zeug nur so da war), das Bauernhofmuseum mit Museumsgaststätte daselbst, das Ensemble von Jungenhofen mit seiner Lage im Wald, der Steinersee im alten Grethelmark-Forest (Vorsicht Räuber!), mit viel Schilf und sommerlichen Picknick- und Verführungs-Plätzen … aber davon spricht man nicht! Bitte wieder vergessen, wir wollen dort allein sein.

Fahren wir ein andermal fort. Dann kommt die Auflösung: War es schön mit ihr, was ist das überhaupt: Liebe, was haben wir noch angeschaut, wie schmeckte der Karpfen, worin liegt der Sinn im Leben, gibt es einen lieben Herrgott, woher kommen wir, wohin gehen wir, was aber geschieht / am besten / wenn Totenstille / / eintritt (frei nach Ingeborg Bachmann: „Reklame“)?