Hjorth & Rosenfeldt: Die Frauen, die er kannte

Franziska Lamm

Es ist Hochsommer und ein Mörder versetzt Stockholm in Angst und Schrecken. Das Grauenvolle an den Morden ist, dass ein Psychopath, der im Hochsicherheitstrakt von Lövhaga sitzt, in allen Details nachgeahmt wird.

Der Nachahmungstäter ermordet die Frauen, egal ob verheiratet oder alleinlebend, wenn sie allein zuhause sind. „Die Nylonstrümpfe. Das Nachthemd. Die Lage. Sie war die Dritte. ,Von einem Ohr zum anderen‘ genügte nicht, um die klaffende Wunde am Hals zu beschreiben. Sie reichte eher von der einen Seite der Halswirbelsäule zur anderen. Wie wenn man eine Konservenbüchse öffnete und ein kleines Stück übrig ließ, um den Deckel nach hinten biegen zu können. Man hatte der Frau den Hals fast komplett abgeschnitten. Es musste eine enorme Kraft gekostet haben, ihr solche Verletzungen zuzufügen. Überall war Blut, die Wände hoch und auf dem ganzen Fußboden.“ Sebastian Bergmann, ein Psychologe, der über den Frauenmörder von damals, Edward Hinde, mehrere Bücher geschrieben und ihn interviewt hat, wird zu den Ermittlungen hinzugezogen. Allerdings erscheint er für das Fortschreiten der Ermittlungen nicht besonders hilfreich zu sein, da ihm sein eigenes Temperament im Weg steht und ihn das Geheimnis belastet, dass seine Kollegin Vanja Lithner seine Tochter ist. Er schafft es immer wieder, dass wegen ihm ein Streit im Ermittlerteam ausbricht. „,Wenn ich ein neues Treffen mit Hinde für euch organisiere, besteht dann die Möglichkeit, dass ihr etwas aus ihm herausbekommt?‘ ,Vielleicht wenn ich allein fahre‘, antwortete Sebastian noch immer zurückgelehnt. Vanja reagierte sofort. ,Ach so, dann ist es also meine Schuld, dass wir nicht weitergekommen sind?‘ ,Das habe ich nicht gesagt.‘ ,Du hast gesagt, dass du ohne mich erfolgreicher wärst. Wie soll ich das bitte schön deuten?‘ ,Das ist mir scheißegal. Deute es, wie du willst.‘ Sebastian leerte den letzten Rest aus der Sprudelflasche und musste leise rülpsen, was seine Antwort unverschämter klingen ließ, als er es beabsichtigt hatte. ,Und, bist du der Meinung, dass unser Team hier funktioniert? Na? Findest du das?‘ ,Vanja …‘ ,Erinnerst du dich daran, was wir für den Fall beschlossen haben, dass es nicht funktioniert? Wir wollten ihn an die Luft setzen.‘ Torkel seufzte. Er hatte die Beherrschung verloren, dabei war die Stimmung im Team ohnehin schon schlecht. Die Frage war, ob das an dem Frust lag, weil sie noch immer nichts über den Täter wussten, oder daran, dass sie Sebastian ins Team geholt hatten. Torkel wusste es nicht, aber er begriff, dass er den Streit irgendwie schlichten musste, und sei es nur für den Augenblick.“ Außerdem ist Sebastian Bergmann psychisch vorbelastet, weil er seine kleine Tochter Lily 2004 beim Tsunami verloren hat. Dennoch gelingt es ihm eine Verbindung zwischen den wahllos getöteten Frauen zu finden. Sebastian hatte eine sexuelle Beziehung zu allen. Demnach ist das Motiv für die Morde also persönliche Rache an Sebastian Bergmann. Schnell ist klar, dass Edward Hinde etwas damit zu tun haben muss. Nun ist es die Aufgabe des Teams um Sebastian und Vanja, herauszufinden, wie es Hinde gelingt, vom Hochsicherheitstrakt aus mit der Außenwelt zu kommunizieren. Denn sein besonderes Talent besteht darin, in die Gedanken seines Gegenübers eindringen zu können. So kann er ihn manipulieren und ihm immer einen Schritt voraus sein. „,Gefälligkeiten und Gegendienste‘, verdeutlichte Hinde. ,Wie in einem Spiel, könnte man sagen. Ich habe etwas, das sie haben wollen, sie haben etwas, das ich will, warum sollte man diese Chance vertun? Aber Sebastian wollte nicht mitspielen.‘ Hinde sah Haraldsson in die Augen. War er zu deutlich geworden? War es zu offensichtlich, worauf er hinauswollte? Immerhin war sein Gast Polizist gewesen, sogar bis vor kurzem noch. Müssten seine Alarmglocken also jetzt nicht schrillen? Es machte nicht den Anschein. Edward beschloss, die Sache durchzuziehen. ,Ich könnte Ihnen dasselbe Angebot unterbreiten.‘ Haraldsson antwortete nicht sofort. (…) Haraldsson nickte. ,Warum nicht. Und wie haben Sie sich das vorgestellt?‘ Edward musste sich anstrengen, um nicht in ein vergnügtes kleines Lachen auszubrechen. Stattdessen lächelte er Haraldsson nur breit und treuherzig an und beugte sich erneut vor, beinahe vertraulich. ,Ich sage, was ich haben will, und wenn ich es bekommen habe, fragen Sie mich, was immer Sie wollen. Und ich werde antworten.‘ ,Wahrheitsgemäß.‘ ,Versprochen.‘“ Als man sich schließlich für sicher hält, da man den Täter gefasst hat, schafft es Hinde aus dem Gefängnis auszubrechen, um Sebastian Bergmann endgültig zu vernichten. „Sie hörte die Stimme. Erst konnte sie sie nicht einordnen. Oder besser: Sie konnte Die Stimme nicht mit der Situation in Einklang bringen. Mühsam drehte sie sich zu Hinde um und begriff, dass sie richtig gehört hatte. Sein Gesicht leuchtete vor Erwartung. Er sah Vanja mit einem hochkonzentrierten Gesichtsausdruck an. Dies war die Stimme, auf die er gewartet hatte. Lange, lange Zeit. Hinde nahm das Messer und schlich sich durch die Tür. Sie sah ihm nach und vergaß für einen Moment die Feder in ihrer Hand. Was tat Sebastian hier? Und warum warnte er Hinde, bevor er ins Haus ging? (…) Hinde schwang erneut das Messer in seine Richtung, und Sebastian wich in eine Ecke des Zimmers zurück. Bald wäre er gefangen. Er suchte fieberhaft nach etwas, mit dem er sich schützen konnte, sah jedoch nichts. Je länger er durchhielt, desto mehr Vorsprung bekam Vanja. (…) Er sah das Messer aufblitzen und durch die Luft schnellen. Dann spürte er einen irrsinnigen Schmerz im Bauch. Hinde zog das Messer heraus und hob er erneut an. (…) ,Vanja hat es geschafft‘, sagte er mit einem letzten Lächeln. Hinde sah ihn wütend an und hob das Messer. In diesem Moment entdeckte Sebastian sie plötzlich. Sie kam mit irgendetwas in der Hand durch die Tür gesprungen.“

Michael Hjorth ist ein erfolgreicher schwedischer Produzent, Regisseur und Drehbuchautor. Er schrieb u. a. Drehbücher für die Verfilmungen der Romane von Henning Mankell.

Hans Rosenfeldt schreibt ebenfalls Drehbücher und ist in Schweden ein beliebter Radio- und Fernsehmoderator.

Ihr gemeinsames Krimidebüt Der Mann, der kein Mörder war wurde ein Riesenerfolg. Das Buch erschien in 20 Ländern und war monatelang auf den internationalen Bestsellerlisten. Die Frauen, die er kannte ist der zweite Band in der Reihe um den Stockholmer Kriminalpsychologen, die von Sveriges Television in Kooperation mit dem ZDF verfilmt wird.

Sebastian Bergmann ist ein gebrochener Mann. Er hat nicht nur den Verlust seiner Ehefrau nicht verkraftet, sondern auch den seiner kleinen Tochter Lily. Mit Vanja scheint er eine neue Tochter gefunden zu haben. Er will sogar so weit gehen, ihre gute Beziehung zu ihrem angeblichen Vater zu zerstören, um eine Rolle in ihrem Leben zu spielen. Über all diese Schicksalsschläge versucht er sich mit Frauengeschichten hinwegzutrösten, was ihm nicht gelingt, denn er wird immer wieder vom Albtraum des Tsunamis gequält. Außerdem sinkt dadurch und durch seine unkontrollierten Zornesausbrüche sein Ansehen bei den Kollegen. Sebastian Bergmann ist eine Figur, die man in manchen Situationen verabscheut und dann einfach nur bemitleidet.

Edward Hinde ist ein berechnender Psychopath. Er ermordet die Frauen kaltblütig, um sich an seiner toten Mutter, die Depressionen hatte und sich an ihm verging, zu rächen. Er spielt mit seinem Gegenüber und gibt nichts ohne eine Gegenleistung preis. Er dringt in den Kopf seines Opfers ein und ist ihm immer einen Schritt voraus, indem er nicht nur die Gedanken sondern auch das Verhalten analysiert. Hinde erscheint als ein ebenbürtiger Gegner für Sebastian Bergmann. Jener schreckt vor nichts zurück, um seinen ärgsten Feind zu vernichten. Er bringt die tiefsten Geheimnisse in Erfahrung, um sie für seinen Vorteil zu nutzen.

Der Krimi Die Frauen, die er kannte ist spannend geschrieben. Man darf sich nicht von der ungewöhnlichen Dicke des Buches abschrecken lassen. Es gibt mehrere Handlungsstränge, die parallel laufen, aber das Lesen und das Verständnis der Zusammenhänge nicht erschweren. Je mehr man liest, desto spannender wird das Buch. Damit ist es perfekt für die anbrechende Jahreszeit geeignet, um sich in eine Decke zu wickeln und mit einer Tasse Tee den Abend zu genießen.

Hjorth & Rosenfeldt: Die Frauen, die er kannte. Ein Fall für Sebastian Bergmann.
Rowohlt: 729 Seiten; ISBN: 978-3-86252-020-6,
Preis: 14,95 €