Es gibt sie noch, die schönen Dinge: ein letztes (und angezähltes) Refugium für Kunst

Links die Werkstatt von Adelbert Heil. Foto: Erich Weiß

Der offene Brief an den Oberbürgermeister ist ein Plädoyer für den Erhalt der Werkstatt der Künstler in der Pfeuferstraße. Wie berichtet, bietet die Stadt Bamberg das Gelände im Norden der Insel als „Immobilien in Bestlage“ zum Verkauf an (Bericht zum Tag des Offenen Denkmals). Geht es nach den Vorstellungen des städtischen Immobilienmanagements sind die Tage des Refugiums angezählt.

Offener Brief von Dr. Markus Huck

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

Frau Glössner-Möschks Artikel im FT vom Montag, 3. Sept. 2012, S. 14 machte mich erneut auf den Künstler Adelbert Heil aufmerksam. Denn gehört hatte ich schon früher von ihm, näm­lich durch Frau Elisabeth Seemüller. Sie erzählte mir ganz begeistert, wie sie als Blinde bei ihm zum ersten Mal, Kunst in vollen Zügen tastend erleben und genießen durfte. Seither setzt sie sich auf dem weitgehend noch brach liegenden Feld „Darstellende Kunst und Sehbe­hin­derte“ mit Begeisterung ein. Auch schilderte sie mir voll Wärme das Terrain, oder besser noch seine von einer Blinden viel intensiver wahrgenommenen Ausstrahlung, wo sie mit den klei­nen, aber feinen Werken Herrn Heils in Kontakt gekommen war, jenen letzten Rest der ehe­mals Mayer’schen Gärtnerei.

In der Werkstatt von Adelbert Heil. Foto: Erich Weiß

Erst vor drei Jahren nahm ich meinen Wohnsitz wieder in meiner Geburtsstadt und am Ort meiner Jugend Bamberg. Als ich im Ausland mei­nem Beruf nachging, verbrachte ich stets große Teile des Urlaubs hier. Und stets sah ich diese Stadt als einen Ort der Historie, Kultur und auch Kunst, gerade deshalb liebe ich sie und fühle mich als Bamberger durch und durch.

Mir geht es da wie vielen anderen auch: Im Grunde tut es mir leid oder sogar weh, dass die­ses Refugium Pfeuferstr. 16a nun verschwinden soll. Immer wieder denke ich an das Bevor­stehende, seit ich den Ort zum ersten Male sah, und dies nicht, weil ich nichts Besseres zu tun hätte. Zugegeben: nicht wenigen mag ein solch von Wildwuchs überwucherter Ort umso geeig­neter erscheinen, gesäubert und zeitgemäß bebaut zu werden. Aber da gibt es auch die an­dere Sicht: Wenn wir von einem „Dornröschenschloss“ sprechen, meinen wir sicher keine Müll­halde, die als Geschwür in der Landschaft einzig und allein nur abgetragen zu werden ver­diente. Ich denke, so verhält es sich auch mit dem betreffenden Anwesen, der Wirkungs­stätte Adelbert Heils, und dies aus zwei Gründen:

Im Garten der Werkstatt von Adelbert Heil. Foto: Erich Weiß

Zum Innenleben einer Stadt gehören die Kunstschaffenden

Erstens äußert sich die Stadt Bamberg als Weltkulturerbe. Kunst aus der Vergangenheit wird da in Hülle und Fülle zu Recht bewundert – Zeugnisse vergangener Epochen, die mit Liebe, Fürsorge und Aufwand erhalten werden. Aber sollte nicht, was von außen betrachtet, auch Innen-Leben haben, ja Leben überhaupt, Leben in allen Facetten? Und zu diesem gehö­ren doch sicher auch Kunstschaffende, erst recht an diesem Ort! Nicht jeder Tourist mag eine solche Lebenszelle besuchen wollen oder der Bewunderung für würdig erachten, aber solche Lebensinseln geben der Stadt ihren Charakter, so wie das unsichtbare Innenleben des Körpers uns auch nach außen prägt und ganz persönliche Ausstrahlung verleiht. Insofern büßt Bam­berg einen kleinen, aber eben doch charakteristischen und für die Stadt typischen Teil seines Innenlebens ein, wird Adelbert Heils „Dornröschen-Terrain“ plan gemacht und mit nichts Besonderem, mit vielerorts zu findendem Allerlei eben, zugebaut. Gehört die Werkstatt und ihre Umgebung nicht als Schaffensstätte auf bestimmte Weise zur dort entstehenden Kunst wie zum Hufeisen nicht nur der Schmied, sondern auch die von ihm so und nicht anders ein­gerichtete Schmiede?

Die Ästetik des Unvollkommenen

Es geht also um Leben in dieser und dieser Stadt, das vertrieben wird, weil es Wichtigeres zu geben scheint oder vielleicht – weil es nicht erkannt wurde? Abgesehen davon scheint es mir auch eine Ästhetik nicht nur des Vollkommenen, sondern des Unvollkommenen und Ver­fallenden zu geben, eine Ästhetik, die zu jeder altehrwürdigen Stadt gehört und zu ihrer Ein­zigartigkeit unwiederbringlich beiträgt. Es gibt Orte wert, sie liebevoll einfach zu lassen, wie sie sind; denn sie atmen. Nicht jeder sieht sie, aber doch sind sie da: Man biegt zufällig um eine Ecke und steht davor – staunend, angerührt, herausgerissen aus der eiligen Welt und hin­einversetzt in eine Stille voller Gesang. Tritt man nämlich von der Werkstatt des Künstlers nach hinten hinaus in den verwilderten Garten, hört man ihn, den Gesang so vieler verschie­dener, miteinander wetteifernder Vogelstimmen – sogar jetzt noch im Spätsommer –, fragt man sich doch tatsächlich, ob hinter den Büschen sich nicht eine Volière befindet – aber nein: – ein echtes Biotop, ein kleines Paradies!

Es sind die letzten Reste der Gärtner auf der Insel

Zweitens dürfte der letzte Rest der Mayer’schen Gewächshäuser, in welchem sich die Künstlerwerkstatt befindet, streng genommen, zur Kategorie des Industriedenkmals gehören. Freilich, man kann ein solches verfallen lassen, bis es der Erhaltung nicht mehr wert. Man tut so etwas meist überlegt, es passiert nicht einfach. Grundstücke von solch pekuniärer Güte geraten natürlich nicht in Vergessenheit. Ohne Zweifel, das Geld wird gebraucht, viel davon brächte wahrscheinlich der Verkauf. Das ist mir klar, nur zu schmerzlich! Was könnte man schon dagegen „Vernünftiges“ ins Feld führen? Aber noch ist der zu erwartende Fall des Ver­falls nicht gegeben, da an diesem Ort Leben pulsiert – ein Künstlerleben, das un­sere Stadt so notwendig braucht wie das Geld. Es gibt, allen durchaus wichtigen und richtigen wirt­schaftli­chen Argumenten zum Trotz, auch den anderen Aspekt, und dieser öffnet immer mehr Men­schen das Herz, auch jungen besonders. In Bamberg – gerade hier – leben Bürger, die nicht nur rechnen. Sie haben sich mit dieser Stadt solcher Refugien wegen identifi­ziert. Vieles aus meiner Kindheit und Jugend verschwand. Man sollte meinen, die Erin­nerung verblasse und der Verlustschmerz werde doch allmählich gestillt – aber nein, es tut einem immer wieder weh, geht man an solchen Orten vorüber: Die alten, heimelichen Bilder tauchen wieder auf, und Enttäuschung macht sich breit angesichts dessen, was heute dort starrt. Moderne Bau­kunst kann alte nicht ersetzen, sie kann sie aber ausgestalten und beto­nen; sie legt sie aus und interpretiert sie. Die Bebauung um den Graf-Stauffenberg-Platz mag zeitgemäß und zweck­haft sein, originell und individuell ist sie jedenfalls nicht: ähnliches oder dasselbe gar findet man in jeder beliebigen anderen Stadt, als wäre dieses eine Kopie von jenem oder jenes von diesem. Es ist nicht das Bamberg, von dem hier die Rede ist und das sicher auch Sie und ich meinen, wenn sie von „Bamberg“ sprechen.

Die Bebauung am Graf-Stauffenberg-Platz ist weder originell noch individuell

Neubauten im Quartier. Foto: Erich Weiß

Mag sein, dass diese Zeilen viel zu spät kommen. Dennoch möchte ich sie geschrieben ha­ben, einfach um mit vielen anderen eine Lanze für das Schöne zu brechen. Und sollte letzt­endlich doch gar nichts mehr aufzuhalten sein, so sei doch die Bitte noch angefügt, Herrn Heil wenigstens eine entsprechende Werkstatt im Inselgebiet zur Verfügung zu stellen. Es täte doch auch der Stadt nicht gut, wenn er sich außerhalb ihrer ein Refugium suchen oder gar seinen Wohnsitz, dem Arbeitsplatz folgend, weg verlegen müsste.

Zuletzt sei Ihnen gedankt, dass Sie sich die Zeit genommen haben, diese Zeilen zu lesen. Sie kommen von Herzen. Ich bin wirklich ein echter, sich immer schon mit der Stadt identifizie­render Bamberger, verwurzelt hier seit Generationen.

Hochachtungsvoll und mit freundlichen Grüßen

Figur von Adelbert Heil in der Ausstellung "verzweigt" in der Villa Dessauer. Foto: Erich Weiß

Zur Ausstellung „verzweigt“