„Das tollste ABC der Welt“ – ein Versprechen, eine Drohung?

Hans-Peter Ecker

Da haben wir also angeblich eine Fibel, ein ABC-Buch für Erstleser vor uns, seinem Titelversprechen nach sogar das „tollste“ der Welt. Wie aber fassen wir „toll“ in diesem Falle auf? Als „klasse gemacht“, als „wunderbar“ oder als „närrisch“, „verrückt“? M.E. sollten wir uns darauf einstellen, alle diese Bedeutungen ein Stück weit als zutreffend zu betrachten. Vorbildlich ist dieses Buch ohne Frage als handwerkliches Produkt über alle 64 Seiten hinweg einschließlich des stabilen Kartoneinbandes – hier stimmt einfach alles von der Papierqualität  über die solide Verarbeitung, die Ausstattung (z.B. das Besitzer-Feld noch vor der Titelei) bis zur ausdifferenzierten Farbpalette der Illustrationen. Toll im Sinne von „klasse“ ist auch die durchgehende Idee, die Illustrationen der jeweils einem Buchstaben des Alphabets gewidmeten Doppelseiten ideenreich den Umrissen der jeweiligen Buchstaben anzunähern.

Obgleich ich hier schon gewisse Vorbehalte in Sachen Logik anzumelden hätte: Warum kommt das A als Eiffelturm daher? Klar, dessen Form zeigt das A; aber: symbolisiert er nicht phonetisch ein „Ei“? Passt er zum A, obwohl er im gesamten Wort diesen Buchstaben nicht einmal enthält? Verfasser/Illustrator Tom Schamp (ein Belgier) und Übersetzer Harry Rowohlt versuchen die Sache mit Hilfe einer Unterschrift zu retten, die meinen Einwand aber nicht wirklich entkräften kann: „Anita rast per Anhalter zu Alis achtem Geburtstag nach Paris, (wartet aber mit ihrer Attacke auf Apfelsinenkuchen und Ananasbowle nicht ab, bis die anderen antanzen).“ Das „Paris“ erklärt für mich erstens nur rumpelhaft, warum hier der Eiffelturm als Wappentier fürs A herhalten muss (statt beispielsweise eines entsprechend verrenkten Affen); zweitens sind Wörter wie „Attacke“ oder „Ananasbowle“ für Erstleser ungeeignet und drittens ist die Satzkonstruktion im Hinblick auf Komma- und Klammersetzung schlampig. Auf der nächsten A-Seite findet sich ein gezeichneter Tiger (daneben klein das Wort „Tigeraugen“), für den sich dasselbe sagen ließe wie für den Eiffelturm.

Verrückt wird’s dann im weiteren Buch, wenn viele Blödel-Sätze vielleicht erwachsenen Wortakrobaten Spaß machen, aber Erstleser nur noch überfordern: „Es scheint, als entfernte Europa sich im Sommer extrem.“ „Lars und Leo lieben und loben das Licht der Lagune, wenn’s dermaleinst lenzt, logisch!“ „Verstimmungen sind voll Vorvergangenheit: Vorzügliche Vögel verbreiten Vergnügen.“ Bei solchen Sätzen folgert Sherlock Holmes, dass sich weder Autor, noch Übersetzer und Lektorat je mit den Erfordernissen eines Erstlesewerks auseinandergesetzt haben. Die Verlagswerbung auf dem hinteren Deckel „… eine spielerische Vorschule des Lesens!“ ist hier schlicht irreführend. Auch über Illustrationen und Farbtönungen ließe sich streiten: Sind sie kindgerecht oder gefallen sie dem erwachsenen „Kinderbuch“-Sammler?

Fazit: Wir haben hier ein  nettes ABC-Buch, das Sie sich als Liebhaber schöner Bücher jederzeit von Ihren Kindern schenken lassen können!

Einige bewegte Bilder zum Buch: http://www.youtube.com/watch?v=3rYIiAoeILc

Schamp, Tom
Das tollste ABC der Welt
Übersetzt von Rowohlt, Harry
Carl Hanser Verlag
ISBN: 978-3-446-23897-8
14,90 Euro
64 S., Durchgehend farbig illustriert / 30,5 x 20,6 cm / Hardcover