Spanien demonstriert im Finale der EM seine einsame Klasse

Winnie Wenzel

Natürlich passte gestern Abend für die Spanier vieles zusammen: der Gegner hatte seine Trümpfe gegen Deutschland offen gelegt, besaß nicht mehr die Fitness vom vergangenen Donnerstag und hatte Pech mit der frühen Verletzung des dritten Auswechselspielers. Man selber konnte seine beste Turnierleistung abrufen, ging früh in Führung und hatte auch noch ein bisschen Glück bei der einen oder anderen brenzligen Situation im eigenen Strafraum. Aber all dies ,wäre nicht nötig gewesen’, wie man so sagt. Der Titelverteidiger spielt derzeit einfach besser als alle anderen europäischen Teams, taktisch, kämpferisch und technisch sowieso. Die spanische Mannschaft besteht aus hervorragenden Individualisten, funktioniert aber auch als Kollektiv; sie bringt reichlich Erfahrung mit, und zwar positiver Art: Mit jedem Titel wächst naturgemäß der Glaube an die eigene Überlegenheit.

Dieses Selbstbewusstsein drückte sich (im Unterschied zur jungen deutschen Mannschaft, die sich ja diese Spanier zum Vorbild genommen hat) zum Beispiel dadurch aus, wie sie mit dem italienischen Pressing umgegangen ist: da wurde nicht permanent der eigene Torhüter durch riskante Rückpässe in Verlegenheit gebracht und zu weiten Abschlägen gezwungen, sondern der anrückende Angreifer mal umdribbelt, mal durch schnelles Passspiel ins Leere geschickt. So wie Italien gegen Deutschland Dominanz demonstrieren durfte, musste es sich gestern von der ,roten Furie’ zeigen lassen, wo der Hammer hängt. In der 12. Minute markierte diese das 1:0 durch eine fantastische Traumkombination: Ein genialer Pass von Iniesta zerreißt die blaue Abwehrformation, Fabregas umdribbelt an der Torlinie seinen Verteidiger und flankt kurz, scharf und absolut präzise auf Silva, der den Ball platziert ins linke obere Toreck stößt. Nach diesem Tor, bei dem aber auch rein gar nichts Zufall oder ,Glück’ war, wusste ich, dass die Italiener keine Chance haben würden.

„Manchmal muss man einfach hinnehmen, dass es eine Mannschaft gibt, die besser ist.“

In der 21. Minute muss Italien schon zum ersten Mal wechseln, weil sich Chiellini verletzt hat. Für ihn kommt Balzaretti, was die Sache nicht leichter macht. Die Italiener drücken in den folgenden Minuten auf den Ausgleich und kommen auch zu einigen Kleinchancen, die aber zumeist Casillas sicher zunichte macht. Spanien wehrt sich mit Tiki-taka-Passagen, aber auch dem einen oder anderen rustikalen Foul an den italienischen Spitzen, um den Rhythmus des Gegners zu brechen. Das gelingt; dann – in der 40. Minute – das vorentscheidende 2:0 durch Verteidiger Jordi Alba nach einem 70-m-Sprint, von Xavi perfekt angespielt. Nur sehr optimistische Azzurri oder sehr ängstliche Spanier können sich jetzt noch vorstellen, dass die Mission Titelverteidigung schief gehen könnte. Immerhin strengt sich das italienische Team nach der Pause (nun mit Di Natale) noch einmal an. In der 48. Minute versagt der portugiesische Schiedsrichter Ramos, der ansonsten nicht schlecht leitet, den Spaniern einen Handelfmeter. In der 51. Minute stehen die Wettquoten bereits bei 10:195 – ich borgte mir bei zypriotischen Banken 10 Milliarden und setzte auf Rot-Gelb …

Mit einigen Auswechslungen beginn in der 60. Minute die Schlussphase des Spiels. Thiago Motta wird kurz nach seiner Einwechslung vom Platz getragen – eine Muskelverletzung am Oberschenkel ohne erkennbare Einwirkung eines Gegners: Pech, aber letztlich egal. Spanien schaltet in den Schaulauf-Modus, auf eine Demütigung des Gegners hat man es ganz offensichtlich nicht abgesehen. In der 75. Minute wechselt Vicente Del Bosque seinen wenig eingesetzten Stürmer Torres ein, irgendwann auch noch Mata. Die beiden schießen schnell noch zwei Tore, u.a. weil sich Torres so noch die Torjägerkrone des Turniers abholen kann.

Dann ist das Spiel aus: Mit 4:0 landet Spanien den höchsten Finalsieg der EM-Geschichte, verteidigt erstmals als amtierender Europameister den Titel und beendet nebenbei eine schwarze Serie gegen Italien, die so ähnlich aussah wie die deutsche Bilanz. Balotelli behält sein Trikot an, Pirlo weint, der smarte italienische Trainer Cesar Prandelli gibt den guten Verlierer und gratuliert zum Sieg. Feuerwerk. Torwart Buffon hat etwas Tiefes fürs Leben gelernt („Manchmal muss man einfach hinnehmen, dass es eine Mannschaft gibt, die besser ist.“)

Die Uefa macht sich derweilen, wie die SZ schreibt, Gedanken darüber, wie man die nächste WM irgendwie spannend machen könnte: „Variante A: Die Fifa zahlt dem spanischen Verband einen nicht näher genannten Geldbetrag, damit er auf die Teilnahme verzichtet. Variante B: Die Fifa erlaubt Spanien die Entsendung zweier Teams, um das Finale spannend zu gestalten. Variante C: Die Weltmeisterschaft findet auf der ganzen Welt statt (dank Billigfliegern kein Problem), die Spanier müssen aber jedes Mal in Tunguska zwischenlanden. Variante D: Die Deutschen steigern sich binnen zwei Jahren um 200 Prozent und bieten Spanien die Stirn. Okay, letzteres ist unrealistisch.“

PS. Deutschland hat dennoch eine erfolgreiche EM gespielt und – Qualifikation mit eingerechnet – sehr oft einen höchst ansehnlichen Fußball geboten und seinen Fans viel Spaß gemacht; Gratulation und Anerkennung für diese Leistung an Team, Trainer und den ganzen Tross!

5 Gedanken zu „Spanien demonstriert im Finale der EM seine einsame Klasse

  1. Da niemand anders das Argument bringt: Das Thema „Doping im Fußball“ in diesem Moment der Demonstration spanischen Zauberfußballs auf die Tagesordnung zu bringen, geht schon deshalb überhaupt, überhaupt nicht, weil man sofort als der klassische „schlechte Verlierer“ dastände. Keiner (vielleicht kenne ich ja EINE Ausnahme?) würde es einem abnehmen, dass es hierbei um die Sache ginge und nicht um ein schäbiges Nachkarten. Also, ganz klar: Doping ist beileibe nicht nur im Radsport ein Thema, sondern auch bei allen möglichen attraktiven Ballsportarten; aber nicht in diesem Augenblick aus deutscher Perspektive mit Bezug auf Spanien.
    Mit erheblicher Abschwächung bin ich auch der Meinung, dass der jetzige Zeitpunkt suboptimal gewählt wäre, mit Schwächen und Fehlern von Team und Trainer(n) ins Gericht zu gehen. Zumal die Fehler ohnehin jeder mitgekriegt hat. So jedenfalls mein Eindruck bei Gesprächen im Familien- und Freundeskreis.

  2. Hi Winnie, einige Punkte, die mich stören.
    zum einen: why not doping? Radeln oder Fußball, whats the difference? verstehe ich nich; auch wenns in diesem Fall wohl nicht zutrifft?!
    zum andern: bin ich nich sicher, ob sie/die Spanier nicht doch rennen, Memet meinte es auch?!, sie sind ständig in Bewegung, he!
    zum abermals andern: klar haben sie/die Deutschen viel gewonnen in letzter Zeit;
    korrekt, es liegt einfach nur an „uns“, pyschologisch, wir können nich anners als sooooo und so verlieren wir zumeist gg sie, wir können nicht wie Südeuropäer sein, nicht denken, leben, fußballern, lieben usw, auch nich Schulden machen (weil wir nur einmal leben!), das alles hat viel damit zu tun, nicht alles, ok;
    zum weiteren: ich steh auch positiv zu Fehlern, aber nur dann, wenn sie überhaupt mal freimütig von den Betroffenen angesprochen werden und nich, wie ja zuletzt wieder und wieder nur geschehen, zugeschleimt werden?!, so wie die Fußball-Politiker!! (Lahm, Löw etc, Schweinsteiger, Badstuber/der arme/ und so kann ja kein nomaler Mensch anhören!!!);
    das funktioniert wo anders annersch, da geht’s groß kritisch her, aber dann kommt das echte Feiern und wieder die Liebe!!, geht hier alles nich!!!

  3. Das Thema Doping lasse ich hier mal weg, zumal es bei den Radlern sowie wieder auf der Tagungsordnung steht. Außerdem glaube ich gar nicht, dass die Spanier so furchtbar viel rennen: die spielen bloß extrem präzise zu, das spart unnötiges Gerenne. Würdigen wollte ich sie übrigens schon, und zwar ganz ohne Abstriche. An dem Gerede, dass ihr Fußball langweilig sei, habe ich mich ohnehin nie beteiligt. – Nun noch ein paar Worte zu Yogi und seinen Mannen: taktische Großfehler im Italien-Spiel – ja! Aber sonst gab’s über die Monate hinweg doch wirklich viel Erfreuliches. Am Ende einer EM, die immerhin bis zum Halbfinale durchgespielt wurde, wollte ich das insgesamt positiv Geleistete betonen, nicht aber Pfeffer in eine offene (für jedermann sichtbare Wunde) streuen. Außerdem stehe ich positiv zu Fehlern, insofern sie einen nicht umbringen und man etwas daraus lernen kann. Mats Hummels wird höchstwahrscheinlich nie mehr „so“ verteidigen wie gegen Italien, Yogi Löw sicher nie mehr „so“ aufstellen und spielen lassen. (Außerdem sind mir persönlich Titel nicht extrem wichtig. Speziell fünfte Plätze finde ich z.B. bei ,großen‘ Wettbewerben extrem sexy! Ich denke darüber nach, in Zukunft nur noch über die Fünften zu schreiben …)

    • Hi Winnie, hier eine kleine späte Nachbetrachtung:„…Zweifel am sauberen spanischen Zauberfußball…“. Ich merkte am 2.7 nur kryptisch an, dass der hl. Dr. Fuentes bei den Spaniern seine Finger im Spiel haben könnte. Und was lese ich prompt am 12.7. in der SZ? (lesen!!): Dopingverbindungen von Barca + Valencia (nur?) bis 2006 (?) , hony soit chi maly pense?? …Von 200 Dopingfällen kommen ca 60 aus dem Radsport, der Rest verteilt sich auf Fußball, Leichtathleitk, Schwimmen und Tennis. Letztere Zahlen etc mussten leider zurückgenommen werden, stimmen aber mit Sicherheit trotzdem! Volkes Sport geht halt nicht ohne Dope, und es gibt leider immer noch Veranstalter, Verbände und Juristen (die ohnehin ja nich), die es einfach nicht einsehen wollen. Oder haben Sie gar Recht? Essen geht auch nich mehr ohne Gene, ganz wie der Sport nich mehr ohne Dope!? Tiki Taka und Dopi Dopa?!

  4. Hi Winnie,
    ich bin gar nicht so sicher, ob Du Spiel + Spanier mit „tiki-taka“ und so… eigentlich ausreichend gewürdigt hast. Die Spanier haben gespielt wie vom andern Stern, und das nicht, weil gli azzurri verloren haben!!
    Ich dachte an M. Scholls Andeutung, der die spanische Spielweise zurecht als konditionell total am limit bezeichnet hatte, für die Gegner, nicht für sie selbst!
    Ich dachte gestern auch kurz mal an die Künste des hl. Dr. Fuentes… Die Mannschaft spielt schon unmenschlich.
    Das war alles so für einen normal Sterblichen doch nach dem engen Portugalspiel mE nicht so zu erwarten! Du hattest Recht bekommen. Hochachtung!! (übrigens hatte ich von Beginn an auch schon auf Spanien getippt!, dann hatte mich der Mut aber verlassen…)
    Die Italiener haben bis zur ca 60. Min überhaupt nicht gespielt „wie Flasche leer“, es war noch was drin in der Kiste, erst die Verletzung von Thiago Motta hat sie moralisch gebrochen, und klar: die Spanier zusätzlich pyschologisch gepusht, eher wie in Trance.
    Und nochmal: ich hatts nie mit BILD, aber ein derartiges taktisches Versagen wie von Löw in der 1. Halbzeit darf nicht verschwiegen werden, da beißt die Maus kein‘ Faden ab. Endlich Schluß mit dem ignoranten Geschleime nach Spielschluss, auf Trainer- und vor allem leider auch auf Spielerseite, die keine Schuld an dem Desaster tragen!! Ganz blöd simmer net!!

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